Medienforschungstag 2025: Audience First und die Suche nach dem verlorenen Nektar
Exklusive Einblicke und starke Stimmen vom Schweizerischen Medienforschungstag 2025: m&k war vor Ort, führte Interviews mit Expert:innen und zeigt, wie valide Daten zur Basis künftiger Medienstrategien werden.
Unter dem Motto «Audience First – From Data to Knowledge» lud die WEMF AG für Werbemedienforschung zum Schweizerischen Medienforschungstag 2025 ins Westhive Zürich Hardturm. Die mit über 200 Personen gut besuchte Veranstaltung versammelte Fachprofis aus Medien, Werbung und Forschung, um die Zukunft der datenbasierten Zielgruppenansprache zu erörtern. Im Zentrum stand die Frage, wie valide Daten in wertvolles Wissen und effiziente Handlungsempfehlungen umgewandelt werden können.
Die Diskussionen zeigten, dass die Branche sich in einem dynamischen Spannungsfeld befindet: Einerseits geht es um die Pflege und Weiterentwicklung komplexer Datenstrukturen, andererseits um die pragmatische Relevanz und Anwendbarkeit der Ergebnisse für den Werbemarkt.
Die doppelte Herausforderung der Forschung
Die WEMF als Medienforschungseinrichtung für den Werbemarkt bewegt sich in einem Spannungsfeld. Für Finn Stein, Director of Research & Development der WEMF, gibt es zwei zentrale Fokusbereiche: Im Hintergrund muss die theoretische Stichprobenqualität hochgehalten werden, damit die Zahlen konstant gut und verlässlich bleiben. Dieses Pflegen der Stichprobe bezeichnet er als einen riesigen „Moloch“, der teuer und aufwendig ist.

Auf der anderen Seite muss die Forschung praktisch relevant bleiben. Die Daten müssen anwendbar sein und relevante Informationen liefern. Dies erfordert die Weiterentwicklung von Toolfunktionalitäten (wie Next Level), die Aktualisierung und den Ausbau von Inhalten (z.B. im Sport- und Kulturbereich mit Events) sowie die Modularisierung des Studienangebots, um flexibler auf die Bedürfnisse des Marktes eingehen zu können. Die grösste Herausforderung in der Produktentwicklung ist es, dauerhaft relevant zu bleiben.
Targeting Reloaded: Vom Funnel zur Blumenwiese
Prof. Dr. Marcus Schögel stellte in seiner Keynote „Targeting Reloaded“ die Segmentierung, das Targeting und das Positioning (STP) als die „Königsdisziplin“ der Marketingstrategie vor. Er betonte, dass STP heute genauso notwendig ist wie vor 40 Jahren und auch in den nächsten Jahrzehnten wichtig bleiben wird, da „Kunde nicht gleich Kunde“ ist.

Schögel plädierte für ein Umdenken, das überholte Gegensätze wie „Branding vs. Performance“ hinter sich lässt. Stattdessen sind neue Zugänge gefragt, die Reichweite mit Relevanz verbinden, Medienkanäle integriert nutzen und Markenstärke mit Effizienz verknüpfen.
Kritisch setzte er sich mit vereinfachten Segmentierungsansätzen auseinander:
- Generationen und Alter: Er hält es für „komisch“, wenn Unternehmen sich auf Generationen wie die Generation Z ausrichten und damit nur ein Segmentierungskriterium (Alter) nutzen.
- Kreative Personas: Er sieht es als schwierig an, wenn die Komplexität der Segmentierung durch das kreative Beschreiben von Kunden erschlagen wird, statt sich auf Daten zu verlassen.
- Der Panini Effekt: Dieser Effekt beschreibt den Fehler, das Marketing bis zum letzten „Bildli“ optimieren zu wollen – das heisst, jedes Detail durchzuplanen und alle Daten zu analysieren. Schögel hält dies für falsch, da man sich überlegen sollte, ob man ein Ziel überhaupt wirklich erreichen kann.
Als Alternative zum klassischen Funnel-Modell, das Kunden in Phasen einteilt, stellte Schögel das Hummelprinzip vor. Kunden bewegen sich demnach eher wie Insekten zwischen verschiedenen Blüten (Touchpoints), da sie unterschiedliche Reize suchen und aufgreifen. Die Marketingstrategie sollte daher von einer „Blumenwiese“ ausgehen, auf der verschiedene Touchpoints dem Kunden Anreize bieten.
Werkzeuge für präzises Targeting und mehr Glaubwürdigkeit
Um die theoretischen Anforderungen und die praktische Anwendung zusammenzuführen, präsentierte die WEMF neue und bestehende Datenlösungen. Dr. Marc Sele und Nicole Ammann zeigten praxisnahe Targeting-Möglichkeiten auf Basis der MACH-Studien. Gängige Targeting-Formen sind Soziodemographie, Verhaltensmerkmale (z.B. Konsumverhalten), Psychografie sowie Geografie (Wohn- oder Arbeitsort).
Zentrale Werkzeuge der WEMF, um diesen Prozess zu unterstützen:
- Next Level: Dieses Data Analyse Tool bietet Möglichkeiten, um umfassende Analysen durchzuführen, bevor es in die technische Aussteuerung geht.
- RAPID API: Hierbei handelt es sich um eine relativ neue Echtzeit-Schnittstelle zum WEMF-Datensatz. Sie schafft die Möglichkeit, Daten direkt an Vermarkter Bidding-Tools zu liefern, damit diese mit hochqualitativen Informationen arbeiten können.
- AI Assistent: Um den Zugang zum extrem umfassenden Datensatz der WEMF zu vereinfachen, wird ein AI Assistent entwickelt. Er soll Nutzern helfen, die richtigen Variablen für ihre Fragestellungen vorgeschlagen zu bekommen.
Die Branche arbeitet zudem an Initiativen zur Sicherung der Datenqualität im Targeting-Prozess:
- Better Prediction Initiative (BPI): Die BPI ist ein branchenweiter Versuch von Vermarktern, Publishern, Werbeauftraggebern und Medienagenturen, ihre eigenen Predictions zu optimieren und anzureichern. Dies geschieht durch technische Lösungen und Zertifizierungslösungen, die einen Qualitätsnachweis für höhere Qualität liefern sollen.
- Prediction Accuracy Check (PAC): Der PAC dient vor allem Online-Vermarktern dazu, ihre First-Party-User-Daten und darauf basierenden Predictions durch die WEMF zertifizieren zu lassen.
Audio-Marketing und die Transparenz im Podcast-Bereich
Marie-Ange Pittet, Director of Product Management WEMF, beleuchtete, wie WEMF-Daten im Audio-Marketing Anwendung finden.
Die WEMF hat in diesem Jahr ein Podcast-Audit lanciert. Dieses liefert monatlich zertifizierte Download-Zahlen und schafft somit Glaubwürdigkeit und verlässliche Zahlen für diesen Werbekanal. Das Audit ist eine Reaktion auf das Bedürfnis nach mehr Transparenz auf dem Podcast-Markt.
Zahlen aus der MACH Strategy (der größten Intermediastudie der Schweiz) zeigen zudem, wie Affinitäten der Nutzer zu Podcast-Themen eruiert werden können. Neu in der MACH Strategy ist die Publikation des Interesses an 19 verschiedenen Podcast-Themen.

Der Weg zur Online-Währung: ODS und die Forderung nach Vergleichbarkeit
Ein zentrales und herausforderndes Thema war das Panel zur Online-Forschung in der Schweiz. Roland Ehrler, Direktor SWA, konstatierte, dass man in der Online-Forschung im Moment auf dem Stand von 2007 ist, als die ersten Traffic-Daten aufkamen. Seitdem gab es gescheiterte Projekte.
Die Hoffnung liegt nun auf Online Data Switzerland (ODS), einer Traffic-Messung, die nach Angaben von Florian Wanner (Leiter Regionale Elektronische Medien CH Media) in Zusammenarbeit mit den bestehenden Partnern übernommen werden konnte. ODS ist eine Initiative, die von den drei grossen Medienhäusern unterstützt wurde.

Die primäre Forderung an den Werbemarkt lautet, dass möglichst alle kommerziell am Werbemarkt tätigen Brands sich an dieser Messung beteiligen.
Die Relevanz der ODS-Daten liegt laut Florian Wanner in der Glaubwürdigkeit und der Vergleichbarkeit. Die Daten werden alle gleich gemessen, es wird ein Regelwerk eingehalten, was verhindert, dass Medienhäuser mit eigenen Google Analytics-Zahlen individuelle, nicht vergleichbare Ergebnisse kommunizieren.
Die zukünftigen Schritte in der Online-Forschung sind klar definiert, aber noch nicht vollständig realisiert:
- Traffic Data (seit 1. Januar verfügbar).
- Audience Data: Die Frage, welches Publikum die Websites nutzt.
- Kampagnenmessung: Eine Überschneidungs- und konkurrenzfreie Messung, wie viele Kontakte die einzelnen Kampagnen hatten.
Dr. Jella Hoffmann, Gastgeberin und CEO der WEMF, unterstrich in ihrem Fazit die Relevanz von validen und verlässlichen Daten, die weiterhin sehr gross ist. Ihr Wunsch an die Marktpartner ist, die Verlässlichkeit und Transparenz des Schweizer Marktes wertzuschätzen und nicht aufzugeben, sondern an den wichtigen und herausfordernden Fragestellungen wie der Online-Forschung weiterzuarbeiten, um Marktdaten und vergleichbare Informationen für alle zur Verfügung zu stellen.


