Branchenverbände wollen differenzierte Mindestlöhne und starke Sozialpartnerschaft

Mindestlöhne in allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen sollen Vorrang vor kantonalen Mindestlöhnen haben. Mit einer Anpassung im Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen (AVEG) wäre dieser Grundsatz zukünftig gesetzlich verankert. Die Stammgruppe Ausbaugewerbe und Gebäudehülle von Bauenschweiz sowie andere Verbände unterstützen diesen Schritt ausdrücklich.

Blick auf das Podiumsgespräch mit Erich Ettlin, Anita Luginbühl, Peter Meier, Bernhard Rentsch (Moderation), Diana Gujahr und Cédric Wermuth (v.l.n.r.). Bild: zVg / Ausbaugewerbe.ch

Ausgangspunkt der aktuell diskutierten Vorlage ist eine Motion von Ständerat Erich Ettlin. Diese fordert, die bewährte sozialpartnerschaftliche Ordnung gegen politische Eingriffe abzusichern. Konkret soll im Bundesgesetz verankert werden, dass die Mindestlöhne in allgemeinverbindlich erklärten GAV gegenüber kantonalen Mindestlöhnen Vorrang haben. Auch dann, wenn die GAV-Mindestlöhne tiefer sind. Mit der Anpassung des AVEG soll Rechtsunsicherheit abgebaut und die Rolle der Sozialpartner gestärkt werden. Die Wirtschaftskommission des Nationalrates (WAK-N) hat diese Haltung mehrheitlich unterstützt und empfiehlt, die Vorlage anzunehmen. Die politische Linke, allen voran die Sozialdemokraten und Gewerkschaften, sehen dies anders und bekämpfen die Vorlage.

Erhalt der Sozialpartnerschaft

Anlässlich eines Parlamentarieranlasses am 12. Juni 2025 im Raiffeisen Forum diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Politik die Pro- und Kontra-Aspekte. Erich Ettlin (Die Mitte/OW) präsentierte die Motion und betonte, dass diese nötig sei, um das bewährte System der Sozialpartnerschaft zu erhalten. Cédric Wermuth (SP/AG) stellte sich gegen die Motion und wies auf die Problematik hin, dass mit der Gesetzesänderung kantonale Mindestlöhne übersteuert werden könnten. Diana Gutjahr (SVP/TG) dagegen argumentierte, dass gerade die differenzierten Löhne aus dem ave GAV faire Arbeitsbedingungen garantieren. Aus Sicht der Unternehmerin ist klar: «Wir dürfen jetzt nicht einfach einzelne Rosinen herauspicken. Ein austarierter ave GAV ist ein Gesamtpaket.» Dieser Aussage schlossen sich auch Anita Luginbühl, Vizepräsidentin Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten VSSM sowie Peter Meier, Präsident Stammgruppe Ausbau und Gebäudehülle von Bauenschweiz an.

Mindestlöhne: Keine Working Poor kreieren

Ins gleiche Horn stösst auch der Verband GastroSuisse. An einer Medienkonferenz im Vorfeld des erwähnten Anlasses hielt GastroSuisse-Präsident Beat Imhof fest, dass allgemein verbindlich erklärte GAV komplexe Vertragswerke seien. Durch kantonale Regelungen würde eine zusätzliche Fragmentierung geschaffen. «Wir wollen schweizweit einheitliche Verhältnisse. Wir wollen nicht die Löhne senken», so Imhof. Zudem seien in den Kantonen Neuerburg und Genf, welche per Volksabstimmung Mindestlöhne eingeführt haben, die Sozialhilfequoten nicht gesunken. Beat Imhof vertrat zudem auch die Auffassung, dass es nicht im Interesse der Arbeitgeber sein könne, Working Poor zu kreieren. In einem Interview mit «Blick» bekräftigte er diese Haltung: «Wenn wir es als Branche nicht schaffen, anständige Löhne zu bezahlen, haben wir auf dem Markt keine Zukunft.»

Differenzierte Löhne stärken die Berufsbildung

Mindestlöhne in ave GAV bieten der Bauwirtschaft und ihren Beschäftigten seit jeher einen wirksamen Schutz vor Lohndumping und garantieren faire Arbeitsbedingungen. Gleichzeitig ermöglichen sie eine Differenzierung der Löhne nach Qualifikation, Berufsart und Erfahrung. Kantonale Mindestlöhne hingegen seien meist undifferenziert. Die in ave GAV festgelegten Mindestlöhne für ausgebildetes Personal liegen zudem meist deutlich über den kantonalen Mindestlöhnen. Ein Vorrang kantonaler Mindestlöhne würde diese differenzierte Systematik nivellieren und damit auch der Berufsbildung schaden. Wird Bildung durch einen einheitlichen Mindestlohn weniger lohnrelevant, reduziert sich auch der Anreiz sich aus- und weiterzubilden. «Für die Stärkung der Berufsbildungssysteme ist es daher wichtig, dass sich Ausbildung, Leistung und Berufserfahrung lohnwirksam niederschlagen», erläutert Diana Gutjahr, Nationalrätin (SVP/TG) und Geschäftsleitungsmitglied sowie Verwaltungsratspräsidentin der Ernst Fischer AG.

Rechts- und Planungsunsicherheiten für KMU vermeiden

Für die in der Bauwirtschaft tätigen Unternehmen und auch für andere Branchen hätte eine fragmentierte Lohnlandschaft konkrete negative Folgen im Alltag. Vor allem bei ausserkantonalen Aufträgen und der Offertstellung entstünde erhebliche Rechts- und Planungsunsicherheit. Stephan Saxer, Unternehmer und Vizepräsident Ceruniq, hält fest: «Für Unternehmen mit Aufträgen in mehreren Kantonen wird es zunehmend schwierig, rechtskonforme und wettbewerbsfähige Angebote zu kalkulieren, wenn überall unterschiedliche Lohnvorgaben gelten.» Gerade kleinere und mittlere Betriebe, die in der Regel schweizweit tätig sind, würden durch eine solche Entwicklung unverhältnismässig belastet.

Verhandlung im Nationalrat

Die Motion Ettlin wird am 17. Juni 2025 im Parlament verhandelt. Während die bürgerlichen Parteien die Motion befürworten dürften, wehrt sich die Rats-Linke dagegen. Sie argumentiert vor allem staatspolitisch, denn auch die Antwort des Bundesrats auf die Motion Ettlin fiel kritisch aus: Mit dem Anliegen soll «die verfassungsrechtliche Kompetenz der Kantone, sozialpolitisch tätig zu werden und sozialpolitische Mindestlöhne festzulegen, beschnitten werden», heisst es darin. Zudem würde ein allgemeinverbindlich erklärter GAV nicht jene demokratische Legitimation geniessen, wie ein kantonales Gesetz. «Ein GAV ist eine Vereinbarung zwischen Privaten und die Allgemeinverbindlicherklärung eines GAV ändert dessen privatrechtlichen Charakter nicht», so der Bundesrat. Ein allgemeinverbindlicher GAV stehe auch nicht auf Gesetzesebene, sondern sei am ehesten mit einer Verordnung zu vergleichen. Und weiter: «Mit der Realisierung des Anliegens des Motionärs würde der Bundesgesetzgeber den Volkswillen auf Kantonsebene, föderalistische Prinzipien und die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung aushebeln.» Für die Befürworter der Vorlage geht es aber nicht um staatspolitische Fragen, sondern um den Erhalt der Sozialpartnerschaft. Viele Branchenverbände sehen diese nun ausgerechnet von jenen Kreisen in Frage gestellt, die sich dem Schutz der Arbeitnehmenden verschrieben haben.

Quelle und weitere Informationen: www.ausbaugewerbe.ch 

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