Ältere Mitarbeitende: Talente ohne Ende

Viele Unternehmen haben als oberste Priorität festgelegt, junge Talente zu finden und zu binden. Das hat Auswirkungen auf die wachsende Anzahl Mitarbeitende im Alter von 50+. Generationenfreundliches Talent Management lohnt sich – eine spannende Aufgabe für Arbeitgeber, wie auch Arbeitnehmende.

Ältere Mitarbeitende sind durchaus noch neugierig, innovativ und experimentierfreudig, wie Studien belegen. (Quelle: Neustarter-Stiftung)

Mitte der 40er-Jahre und im Spitzenjahr 1963, als 109.993 Babys das Licht der Welt erblickten, verzeichnete die Schweiz historisch einmalige Höchststände der Geburtenrate. Inzwischen haben die Babyboomer das 50. Lebensjahr deutlich überschritten – einen massiven demografischen Wandel im Schlepptau. Das Durchschnittsalter in Unternehmen steigt; ab 2020 werden jährlich viele Menschen «altersbedingt» aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wenn es so weiter geht, sehr viele (58%) sogar vor Erreichen des regulären Pensionierungsalters. Zugleich beklagen Personaler den Mangel an jüngeren Fachkräften, das Recruiting und auch die Aufrechterhaltung langfristiger Beziehungen werden immer schwieriger. Doch selbst für Unternehmen, welche noch (u. a. dank Zuwanderung) aus dem Vollen schöpfen können, dürfte es sich lohnen, ältere Mitarbeitende zu fragen: «Müsst ihr noch oder wollt ihr schon (arbeiten) – und wenn ja, wie lange? » Vielleicht, um darauffolgend der Motivation und dem Einsatz Langjähriger mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Unserer Erfahrung nach ist es nicht getan mit dem Fazit: «Alte gibt es genug, Young Talents zu wenig, dann muss ich doch einfach nur meine Haltung ändern, ein paar Kompetenzen bei den Älteren nachrüsten und zack, Chance genutzt.» Erst recht nicht in Unternehmen, in denen es seit Jahren als «für alle am besten» gilt, sich ab 60 in den Ruhestand zu verabschieden und schlimmstenfalls noch früher in den innerlichen. Ich denke nicht, dass ein Unternehmen automatisch besser wird, wenn es mehr auf Ältere setzt – aber die, die schon mal da sind, gegebenenfalls neu zu begeistern, lohnt sich mit Sicherheit.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Die Negativbilder aus der Arbeitswelt schaffen eine negative Realität; die selbsterfüllende Prophezeiung bildet sich im Verhalten ab. Wenn wir uns für alt und mässig nützlich halten, agieren wir auch so. Eine beständige Abwärtsspirale, wie viele ältere Arbeitnehmer bestätigen. Statt persönlicher Weiterentwicklung wird oft Stagnation empfunden. Dies geschieht nicht selten in Kombination mit erlebtem, stetig steigendem Druck und wachsendem Arbeitspensum, das nicht mehr so leicht weggesteckt werden kann wie in jungen Jahren. Eine altersspezifische Anpassung des Performance- Managements fehlt. Was also tun? Finden Sie heraus, welche Ihrer älteren Mitarbeitenden sich etwa aus Angst vor Arbeitslosigkeit durch die tägliche Routine quälen und wer noch das Gefühl hat, gebraucht zu sein und zu gestalten. Fragt man Vorruheständler, unter welchen Umständen sie länger geblieben wären, dann antworten viele: «Wenn sie mich gebraucht hätten.»

Apropos altersgemischte Teams

In einer aktuellen Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Kooperation mit der Zürcher Kantonalbank und uns (Neustarter-Stiftung, siehe Kasten) geht es um die Integration Älterer im Arbeitsmarkt und die Frage nach dem fälligen Kulturwandel. Bei den Personalern reichen die Aussagen bezüglich altersgemischter Teams von «Das Alter spielt bei uns keine Rolle» bis zu «Konflikte sind bei uns immer Generationenkonflikte». Fabiola Gerpott (Universität Amsterdam) fand in einer Feldstudie heraus: «Je mehr Diversity, desto mehr braucht es Psychological Safety, um die Teamintelligenz zu nutzen.» Das bedeutet, die einzelnen Teammitglieder benötigen neben der Sicherheit, gebraucht zu werden, ein gutes Gefühl beim Äussern ihrer Ideen und Gedanken. Dieses gute Gefühl hat man naturgemäss eher gegenüber Personen ähnlicher Hintergründe (Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildungsniveau usw.). Steigende Altersdiversität erfordert also eine noch diffizilere Führung, die Sicherheit in verschiedenen Dimensionen fördert.

Arbeitsbedingungen in der Schweiz

Dass in puncto Zufriedenheit im Job generell Handlungsbedarf herrscht, zeigen Umfragen des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO zu den Arbeitsbedingungen in der Schweiz 2005 und 2015: «Eintönige Aufgaben» beklagten 2005 rund ein Fünftel der Beschäftigten; zehn Jahre später waren es bereits mehr als ein Drittel. Die Möglichkeiten, «Neues zu lernen» und «eigene Ideen umzusetzen» gingen den Antworten zufolge von 2005 bis 2015 um jeweils rund 15 Prozent zurück. Diese Signale gehen klar in die falsche Richtung, insofern sich die Ökonomie von der Natur des menschlichen Wesens zu entkoppeln droht. Doch wirtschaftliche und menschliche Interessen müssen kein Widerspruch sein. Zu den deutlichsten Schnittmengen zählen die Neugier, die Suche nach Innovation und Experimentierfreude. Deshalb: Unternehmen, erlaubt und fördert Experimente! Entwickelt verschiedene Modelle, wie man in euren Unternehmen arbeiten kann, und macht sie transparent – für alle Altersgruppen.

Alt und agil

Viele ältere Mitarbeitende sagen: «Ja, ich möchte gerne ohne starre Altersgrenze arbeiten, aber nicht wie bisher.» Das passt gut zu neuen Organisationsformen und immer agiler werdenden Arbeitswelten. Als Beispiel, ein Credo der agilen Entwicklungsmethode Scrum lautet immer wieder, Dinge zu ändern, selbst jene, die vermeintlich gut laufen, um neue und bessere Arbeitsweisen zu entdecken. Kostet erst mal (Führungs-) Zeit, bringt Selbstverantwortung, Spass, Motivation und am Ende auch mehr Innovation und Outcome – oder? «Man muss einem alten Elefanten teilweise neue Tricks beibringen», sagt auch Olmar Albers. Er war mit 55 verzweifelt auf Jobsuche, als ihm ein Praktikum unter Digital Natives zurück ins Spiel brachte.

Mehr Transparenz

Darüber hinaus spielen weitere eingefahrene Faktoren eine wichtige Rolle für die demografiefeste Personalarbeit, etwa die Besoldung. Ist die mancherorts immer noch stark auf das (Dienst-)Alter ausgerichtete Lohnstruktur tatsächlich noch angemessen und fair? Wenn jüngere Arbeitnehmer für ein Unternehmen grundsätzlich günstiger sind als die älteren, verschärft dies das gefühlte Gefälle zwischen Leistung und Anerkennung zusätzlich. Demgegenüber sind Modelle denkbar wie etwa eine «Bogenkarriere» (Glückwunsch, wer ein besseres Wort findet!) mit abnehmender (häufig Personal-) Verantwortung oder Teilzeitarbeit bei entsprechend sinkendem Lohn. Viele ältere Mitarbeitende sind offen für Gespräche dazu oder suchen diese explizit und sind bereit, im Schnitt ca. 10% Lohneinbussen hinzunehmen. Erstrebenswert erscheinen generell eine stärkere Transparenz und weniger Ungleichheiten bezüglich der Gehälter. Das passt wiederum zur logischen Entwicklung, weniger in Jobtiteln als in Rollen innerhalb verschiedener Projekte zu denken.

Ältere Mitarbeitende: Learning by Doing funktioniert in jedem Alter

Viel wurde geforscht über die Alten, doch der Dschungel der Vorurteile hat sich wenig gelichtet. Die Forschung zum Zusammenhang zwischen Alter und Leistungsfähigkeit lässt immerhin grob den Schluss zu, dass 55-Jährige nicht per se weniger stemmen als 30-Jährige. Die meisten Defizite, wie etwa längere Reaktionszeiten, werden kompensiert – zum Beispiel durch Übung und Erfahrung. Für die Leistung sind letztlich statt dem Alter vielmehr Arbeitsbedingungen, Lebensverhältnisse, Bildung und Motivation entscheidend. Es kommt also eher darauf an, ob das Aufgabengebiet zur Person oder Persönlichkeit passt. Spannend bleibt das Thema Digitalisierung. Welche Altersgruppe nutzt sie wie? – Tools einsetzen, sich informieren, kommunizieren und konsumieren können bald 100% der Erwerbstätigen in entsprechenden Berufen. Nur, wer vernetzt sich wirklich sinnvoll, gestaltet, produziert Inhalte und Software? Generationenfreundliches Talent-Management würde sagen: Gründet Startups in den Unternehmen. Learning by Doing funktioniert in jedem Alter.

Reden ist Gold

Das Gros der älteren Arbeitnehmer ist sich seiner Fähigkeiten und Vorzüge häufig nicht bewusst. Und umgekehrt kennen die Vorgesetzten deren Potenziale nicht oder allenfalls sehr vage. Es gilt also, mit den Leuten zu reden, Tätigkeiten zu hinterfragen, erstarrte Strukturen aufzubrechen. Zum Beispiel in Form ehrlicher Mitarbeiterbeurteilungen, in denen Defizite offen angesprochen werden, und zwar von beiden Seiten. Wenn es nicht auf den Tisch kommt, bleibt’s beim diffusen Hoffen und Bangen. Und dann den Gesprächen Massnahmen folgen lassen – von Weiterbildung bis hin zum völlig neuen Aufgabengebiet, das die Beschäftigten idealerweise gleich selbst mitgestalten. Aktiv Verantwortung zu übernehmen, die eigenen Möglichkeiten kreativ auszuschöpfen statt Rädchen im Getriebe zu sein – das motiviert. Was allerdings auch den gemeinsamen Gestaltungswillen voraussetzt, über betriebsinterne Hierarchien hinweg. Generationenfreundliches Talent-Management definiert sich idealerweise so, dass alle Beteiligten, also Mitarbeiter, Vorgesetzte und HR-Abteilung, gemeinsame Gestalter eines transparenten Prozesses sind. Wäre doch klasse, wenn in Zukunft alle Altersgruppen die Kompetenzen und die Motivation haben, um in der Arbeitswelt 4.0 mitzugestalten und ohne starre Altersgrenze arbeiten wollen, vielleicht in Kombination mit Familien- und Freiwilligenarbeit – je nach Lebensphase.

Zur Autorin:

Seit September 2016 ist Bernadette Höller (36) als studierte Gerontologin (Altersforscherin) Geschäftsführerin der Neustarter-Stiftung und bringt neben ihrer Fachkenntnis auch umfassende unternehmerische Erfahrung ein.

Die gemeinnützige Neustarter-Stiftung wurde 1999 als Tertianum-Stiftung gegründet. Sie verfolgt seit 2017 das Ziel, Menschen ab 49 Jahren für den beruflichen Neustart zu inspirieren und zu ermutigen. Auch Unternehmen im demografischen Wandel und bei gleichzeitig zunehmender Digitalisierung unterstützt Neustarter, um langjährige und ältere Mitarbeitende mit passenden Modellen und Methoden, z. B. Design Thinking, für zukünftige Arbeitswelten zu begeistern.

www.neustarter.com

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