KMU-Tag 2022: Piercings, Nusstörtchen und KMU-Politik

Der Schweizer KMU-Tag 2022 vom 28. Oktober in St.Gallen stand unter dem Motto «KMU und Beziehungen – konstant im Wandel». Die Referentinnen und Referenten näherten sich der Thematik von verschiedener Seite her an. Die Quintessenz: Gerade in schwierigen Zeiten erweist sich die Beziehungspflege als wichtige Konstante.

Kämpft für eine KMU-Politik in Bundesbern, die diesen Namen auch verdient: Unternehmerin und SP-Nationalrätin Jacqueline Badran bei ihrem Auftritt am KMU-Tag 2022 in St.Gallen. (Bild: Thomas Berner)

Einmal mehr durfte Gastgeber Tobi Wolf am 28. Oktober 2022 einen gut besuchten Schweizer KMU-Tag eröffnen. Während in den letzten Jahren vor allem unternehmerische Qualitäten im Umgang mit Krisen thematisch im Zentrum standen, wählte man für dieses Jahr einen «weichen» Faktor als Tagungsmotto: Beziehungen. «Beziehungen sind es, die in den letzten Jahren uns neue Stabilität verliehen haben», so Tobi Wolf in seiner Eröffnungs-Keynote. Er wies dabei auch auf die Ergebnisse einer Umfrage unter langjährigen Teilnehmenden des KMU-Tags hin. Diese zeigten, dass Vertrauen, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit zu den wichtigsten Faktoren bei der Geschäftstätigkeit gehören. Und ebenfalls aus den Antworten der Umfrageteilnehmenden festzustellen war: Beziehungen werden inskünftig digitaler und hybrider. Es finde ein Wandel von der Kooperation zur Kollaboration statt, wo auch die Nähe zu Mitbewerbern zunehme, erläuterte Tobi Wolf.

Thema Inflation am KMU-Tag 2022: Wer sie mehr spürt und wer weniger

Eine besondere Beziehung ist auch jene zum Geld. Diese wird gegenwärtig durch eine zunehmende Teuerung strapaziert. Reto Föllmi, Professor an der Universität St.Gallen, liess denn auch durchblicken, dass wir das Phänomen «Inflation» lange etwas aus den Augen verloren hätten. «Die Volatilität der Preise ist nicht neu, wohl aber das jetzige Ausmass», so Föllmi. Was die aktuelle Entwicklung befeuert hätte, seien das Ausbleiben der Globalisierungsdividende sowie preistreibende Konjunkturprogramme wie etwa in den USA, weil sie nicht während einer Rezessionsphase durchgeführt worden seien. Auch kurzfristige Massnahmen wie z.B. Tankstellenrabatte oder 9-Euro-Tickets würden die Inflation eher anheizen als mildern. Die Schweiz hätte hingegen den Vorteil, dass sie die Inflation zu einem Teil mit dem starken Frankenkurs bekämpfen könne. Reto Föllmi machte aber wenig Hoffnung, dass sich die Situation schnell ändern werde: «Die Inflation könnte länger bleiben als uns lieb ist.» Er erinnerte aber auch daran, dass Inflation nicht nur Nachteile haben muss: Als Unternehmen müsse man nun die Chance nutzen, die eigene Position im Marktgefüge zu analysieren, sowie die Liquidität schützen und die Resilienz bei Lieferkettenunterbrüchen steigern. Und nicht zuletzt seien die Wachstumskräfte trotz Unsicherheit ungebrochen.

Seit dem Alter von 16 Jahren als Unternehmerin unterwegs: Giada Ilardo verwirklichte ihre Vision einer eigenen Piercing- und Tattoo-Marke. (Bild: Thomas Berner)

Wenig von Inflation und Zurückhaltung bei Ausgaben von Konsumentinnen und Konsumenten spürt Giada Ilardo, wie sie im Gespräch mit Moderator Franz Fischlin darlegte. Zuvor erzählte die Selfmade-Unternehmerin, wie sie ihre Vision, die Piercing-Industrie ins Luxus-Segment zu bringen, verwirklicht hat. Was sie im zarten Alter von 16 Jahren gegründet hat, ist inzwischen zu einer angesehenen Marke mit eigenem Flagship-Store an der Zürcher Bahnhofstrasse geworden. Selbstbewusst kann sie heute sagen, dass sich der Erfolg nur deshalb eingestellt habe, weil sie ihn stets mit voller Leidenschaft gesucht hat. Aus Fehlern habe sie immer ihre Lehren gezogen. «Die Beziehung zu mir hat sich in 23 Jahren verändert», sagt die heute 39-Jährige zu ihrem Werdegang. Den Unternehmerinnen und Unternehmern im Saal legte sie nahe, die «Freude am Tun» nie zu vergessen. Der Weg zu einem Ziel sei oft schöner als das Ziel selbst. «Es gibt im Leben kein Ankommen», so Giada Ilardo.

Mit Mini-Nusstörtchen die Welt erobern

In eine ähnliche Kerbe schlug auch Reto Schmid, gelernter Bäcker und Konditor. Er stand, als er die elterliche Dorfbäckerei übernahm, vor der Frage «Sein oder Nicht-sein». Seine Antwort lautete: «Ich bin Unternehmer, nicht Unterlasser». Er trieb die Entwicklung eines ganzjährig nachgefragten Produkts voran: Die Bündner Nusstorte. Sie ist inzwischen auch als Snack erhältlich und wird nun auch in einer Grösse von 8 Gramm als Kaffeegebäck auf den Markt kommen. «Die weltweit kleinste Bündner Nusstorte», so Reto Schmid nicht ohne Stolz. In seiner «Hexenküche», wie er es nannte, reifen aber noch weitere Ideen: Eine Bio-Linie sowie Schokolade sollen als weitere Standbeine hinzukommen. Trotz aller Vorbehalte von sog. Branchenkennern lässt er sich nicht beirren und kann inzwischen auch den Detailhandel von seinen Produkten überzeugen. «Auch hinter den orangen Riesen stehen Menschen, mit denen man gut diskutieren kann», so Reto Schmid zum Thema «Geschäftsbeziehungen». Dank der Spezialisierung auf Nischen – «was wir wollen, wollen die Konzerne nicht, und was wir können, können die ganz Kleinen nicht» – hat er im Bergdorf Sedrun einen modernen Betrieb, der heutigen Standards vollauf gerecht wird, etablieren können.

Vertrauen als Antibürokratie-Massnahme

Die streitbare Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran ist selbst Unternehmerin und dürfte am KMU-Tag 2022 auch bei einigen (bürgerlichen) Firmenvertreterinnen und -vertretern einige Sympathiepunkte geholt haben. Als Parlamentarierin verfolgt sie immer noch die Vision: Eine KMU-Politik aufzugleisen, die diesen Namen auch verdient. Denn sie erlebe es immer wieder anders: «Die KMU-Interessen kommen in Bundesbern nicht vor», höchstens in «Sonntagsreden». Mit viel Detailkenntnis illustrierte sie diesen Umstand an einigen Beispielen, etwa am Umstand, dass Inhaberinnen und Inhaber von Unternehmen jeweils volle ALV-Beiträge abliefern müssen, nun im Zuge der Lockdown-Massnahmen während der Corona-Pandemie aber plötzlich keine Leistungen erhalten sollten. Immer wieder wies sie auf rein politisch motivierte Ränkespiele im Parlament und Kommissionen hin. So gehe die Vertrauenskultur in den Staat «vor die Hunde», so Jacqueline Badran. Dabei sei gerade Vertrauen «die beste Antibürokratie-Massnahme», eine Vertrauenskultur eine qualitätssichernde Institution. Vor diesem Hintergrund sei ein Paradigmenwechsel in der KMU-Politik notwendig und sie forderte, dass man börsenkotierte Unternehmen und KMU bei Gesetzen nicht einfach in den gleichen Topf werfen dürfe.

Inspirierende Jungunternehmen am KMU-Tag 2022

Wie man Beziehungen zum Geschäftsmodell erheben kann, zeigte Jungunternehmerin Stefanie Lopar in der «Inspiration Session». Ihre Dating-Plattform «Meet&Match» will das Dating für Singles mit Beziehungsabsichten auf ein neues Qualitätsniveau bringen. Ihr Startup war eines von dreien, die gemeinsam um die Gunst des Publikums pitchten. Neben ihr präsentierte sich «Carvolution» mit CEO Olivier Kofler, das derzeit mit seinem Auto-Abonnement für Furore sorgt. Und Anybotics, vertreten durch Fredrik Isler, erläuterte, wie Roboter als «Mitarbeitende der Zukunft» in Industrieanlagen für Qualitätssicherung und -kontrolle sorgen können. Dieses ETH-Spinoff war es denn auch, welches in der Live-Abstimmung obenaus schwang.

Durften am KMU-Tag 2022 um die Gunst des Publikums pitchen: Die drei Jungunternehmer Olivier Kofler, Stefanie Lopar und Fredrik Isler, hier im Gespräch mit Moderator Franz Fischlin (ganz links). (Bild: Thomas Berner)

Was bleibt nach dem KMU-Tag 2022 haften? Sicher einmal mehr dies: Solche Tagungen bilden nach wie vor einen wichtigen Teil in der Beziehungspflege zwischen Unternehmen. Best Practice-Beispiele gezeigt durch gestandene Unternehmerinnen und Unternehmer dienen der Inspiration, und von Jungunternehmen lässt sich sicher mitnehmen, dass sich Mut und Leidenschaft für eine Idee auszahlen können. Und dass auch eine Prise Humor nicht schadet, bewies Komiker Claudio Zuccholini mit seinen Seitenhieben auf neue und alte Trends im Privat- und Geschäftsleben.

Der nächste Schweizer KMU-Tag findet am 27. Oktober 2023 statt. Weitere Informationen: www.kmu-tag.ch

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