Fachveranstaltung: Digitalisierung und Mensch – Mensch und Digitalisierung

Am 22. September fand in Biel/Bienne eine Fachveranstaltung zum Thema «Mensch und Innovation», durchgeführt von Dachser Spedition AG (Schweiz), statt. Die Gäste erhielten dabei einige Einblicke, wie die Digitalisierung nicht nur die Logistik verändert, sondern auch wie der Mensch damit umgeht.

Umgeben von Industrie-Robotern liessen sie die menschlichen Aspekte gegenüber der Digitalisierung nicht vergessen: Die vier Referenten Stefan Hohm, Markus Hackenfort, Lars Guggisberg und Markus Ramming. (Bild: Sandra Gill Fotografie)

Automatisierung ist das Thema der Stunde in der Logistik-Branche. In Zeiten des fast schon chronischen Mangels an Fachkräften bei gleichzeitig steigendem Bedarf an Logistik-Dienstleistungen braucht es innovative Ansätze, um die Kundenbedürfnisse abzudecken – «just in time», versteht sich. Vor diesem Hintergrund konnte das Thema der Fachveranstaltung aktueller nicht sein. Vier Referate beleuchteten die Digitalisierung aus verschiedener Perspektive.

Digitaler Nachholbedarf

Zunächst gab der Lars Guggisberg, Direktor des Verbands Gewerbe Berner KMU und Nationalrat, eine Übersicht über den Stand der Dinge der Digitalisierung in der Schweiz. Er hielt fest, dass unser Land trotz sattsam bekannter guter Rahmenbedingungen bei der Digitalisierung noch erheblichen Nachholbedarf habe. Besonders frappierend befand er die mangelnde Investitionsbereitschaft und die Rückständigkeit bei E-Government etwa im Vergleich mit den ähnlich grossen Volkswirtschaften skandinavischer Länder wie Dänemark oder Schweden, beides Spitzenreiter in IMD-Ranking der weltweiten Digitalisierung. Auch wenn politische Vorstösse für die Förderung von Digitalisierungs-Initiativen kürzlich erfolgreich durchgebracht worden sind, dürfte deren praktische Umsetzung noch dauern, wie Guggisberg einräumte. Erfolgsversprechender scheint eine kürzlich gemeinsam von Gewerbe Berner KMU und digitalswitzerland aufgegleiste Kooperation für niederschwellige Digitalisierungsangebote für Gewerbebetriebe.

Digitalisierung für eine effizientere Logistik

In eine andere Welt entführte das Publikum der nächste Referent, Stefan Hohm, Chief Development Officer (CDO) und Vorstandsmitglied von Dachser. Er sprach von einem cyber-sozio-physischen System in der Logistik, in dem die Daten- und physischen Warenströme ineinanderfliessen und durch Menschen zum passgenauen Fulfillment geführt werden. «Der Mensch steht im Mittelpunkt des Geschehens. Die Technologie soll nicht die ultimative Entscheidung treffen», so der Grundsatz des Unternehmens. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML wurden und werden bei Dachser verschiedene Innovationen eingeführt. Von sich teilautonom bewegenden Flurförderfahrzeugen über Exoskelette, die Mitarbeitende beim Heben von schweren Lasten unterstützen bis hin zu einem komplett als digitalem Zwilling angelegten Lagerhaus bewegen sich die Anwendungsfelder. Dank Data Matrix-Codes auf allen Paletten können die Waren dort lückenlos – auch am Bildschirm – verfolgt werden, was Such- und Beladungszeiten reduziert. Dachser ist auch Mitglied der Open Logistics Foundation, welche zum Ziel hat, branchenübergreifende Datenstandards zu schaffen. Dies alles bezweckt eine noch höhere Automatisierung in der Logistik. So steht am Standort Memmingen bereits heute ein automatisches Hochregallager, wo pro Stunde 200 Paletten ein- und ausgelagert werden können. 52’000 Palettenstellplätze auf 7500 m2 betragen die Dimensionen. Für die Zukunft erwägt Dachser zweistöckige Umschlagsterminals, einerseits um die verbrauchte Landfläche zu reduzieren, anderseits aber auch um die Effizienz zu steigern: «Oben rein, unten raus», so könnte die Formel lauten.

Und wie machen die Mitarbeitenden diese Entwicklungen mit? Viel zur positiven Resonanz bei trägt eine jederzeit offene und transparente Kommunikation. Stefan Hohm räumte ein, dass es auch bei den Dachser-Mitarbeitenden gemäss der Gauss’schen Normalverteilung neben den Begeisterten halt auch Personen gebe, die man erst überzeugen müsse und nicht zuletzt auch jene, die aktuelle Entwicklungen nicht mitmachen wollen. Doch indem man Mitarbeitende befähigt, dank No-Code bzw. Low-Code-Lösungen auch einfache Apps für Kleinstprozesse selbst zu programmieren, kann man die Hemmschwelle gegenüber Neuem senken. Und ganz zu schweigen davon, dass man dadurch ein ganzes Heer von IT-Fachkräften sparen kann, die gerade für ein Logistik-Unternehmen sehr schwer zu finden sind.

Der Mensch: Ein Beziehungswesen

Was macht aber die Digitalisierung grundsätzlich mit uns Menschen? Wie viel Digitalisierung hält der Mensch aus? Mit diesen Fragen beschäftigte sich anschliessend Markus Ramming, promovierter Neurobiologe und Coach für Neuroleadership und Neuroscience im Management. «Das Gehirn wird zu dem, für das wir es nutzen», so seine Kernaussage. Das heisst: Wird etwa ein Kind schon früh aufs Fernsehen «getrimmt», wird es dereinst zu einem Experten fürs Fernsehen, nannte Markus Ramming als Beispiel. Daraus abgeleitet: Um «Experten» für Digitalisierung zu werden, müssen wir lernen, mit ihr umzugehen. Da der Mensch in vielen Bereichen Routinen entwickelt, eröffnen sich der künstlichen Intelligenz Möglichkeiten, diese Routinen nicht nur zu erkennen, sondern auch selbst zu lernen. Das Risiko liegt auf der Hand: Irgendwann werden wir nicht mehr unterscheiden können, ob am anderen Ende des Telefons nun ein Mensch aus Fleisch und Blut spricht oder eben eine künstliche Intelligenz. «Wir sind beeinflussbar, und die KI kann lernen, dies auszunutzen», so Ramming. Dagegenhalten kann der Mensch aber mit zwei Strategien: Einerseits durch das Entwickeln eines Bewusstseins für die Fähigkeiten der Digitalisierung, anderseits auch durch das Schaffen von zwischenmenschlichen Beziehungen. Zu beachten sei, dass jeder und jede individuelle Bedürfnisse, besondere Motivationsfaktoren und Ängste hätte, die berücksichtigt werden müssten. Nur unter Beachtung dieser Individualität funktioniere Innovationsmanagement.

Moderator Stephan Lendi (links) im Gespräch mit Markus Ramming. (Bild: Thomas Berner)

Automatisiertes oder autonomes Fahren?

Im letzten Referat ging es dann um das autonome Fahren. Markus Hackenfort von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW sprach von zwei Entwicklungslinien: Einer «evolutionären», die von fünf Leveln ausgeht (assistiertes Fahren, teilautonomes Fahren, hochautomatisiertes Fahren, vollautomatisiertes Fahren und autonomes Fahren) und einer «revolutionären», die direkt schon mit dem autonomen Fahren einsteigt. Dies zeigte er am Beispiel von «Cruise», einem jungen Unternehmen, das in San Francisco und Phoenix mit komplett fahrerlosen Taxis derzeit für Furore sorgt. Ausführlich ging der Referent auf die Vorteile von autonomem Fahren ein: Es kommt zu weniger ermüdungsbedingten Unfällen, mobilitätseingeschränkte Personen können besser integriert werden, Taxi-Unternehmen können Personalkosten sparen und auch sonst bestehen Möglichkeiten für neue, innovative Business Cases nach dem Muster «… as a service». Dass eine Eingreifmöglichkeit durch einen Menschen fehlt, kann sich aber auch als nachteilig erweisen. Denn durch einfache «Tricks» lassen sich die «Cruise»-Fahrzeuge sabotieren (etwa, indem man einen Gegenstand auf die Motorhaube stellt, der die Sicht der Kamera stört und so das Fahrzeug zum Anhalten zwingt), was in San Francisco durchaus praktiziert wird. Zudem fallen die autonomen Fahrzeuge durch «nette» Fahrweise auf, was sich etwa im Kolonnenverkehr manchmal auch behindernd auswirken kann. Nicht vollends geklärt sind auch die Vernetzungsstandards: Sollen diese hersteller-übergreifend sein oder nicht? Und für die Verkehrsüberwachung: Besteht eine zentrale Steuerungsmöglichkeit? Und ebenfalls viele Städte dürften sich aufgrund der Erfahrungen mit den E-Scootern, die häufig wild abgestellt werden, fragen: Wird dasselbe auch mit autonom fahrenden Taxis passieren? Dennoch zog Markus Hackenfort ein eindeutiges Fazit: Vollautomatisierte Fahrzeuge sind eine Realität. Die weitere Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen. Einen guten Eindruck von der hoch technisierten Ausstattung moderner Fahrzeuge konnten die Teilnehmenden im Nachgang zu den Vorträgen und Diskussionen am LKW-Fahrsimulator von Racing-Fuel Horgen gewinnen. Beim Lenken eines Camions zeigte sich, dass das schwieriger ist, als man es sich vorstellt. Der Spassfaktor blieb dabei aber nicht aus.

Wirtschaft und Wissenschaft zusammenbringen

Fazit der Fachveranstaltung: Die Anwesenden erhielten interessante Einblicke in das derzeit viel diskutierte Thema der Digitalisierung. Von deren Innovationen können nicht nur Branchen wie die Logistik profitieren, sondern auch die Gesellschaft: Vorausgesetzt, sie entwickelt die richtige Einstellung gegenüber neuen Entwicklungen, die nicht nur Risiken, sondern auch viele Chancen in sich bergen. «Wir sehen Fachveranstaltungen wie diese als hervorragende Möglichkeit, um Experten und Expertinnen aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen und Zukunftsbilder für Transport, Logistik und das Supply Chain Management zu entwerfen. Wir wollen die Teilnehmenden motivieren, den digitalen Wandel in den eigenen Unternehmen weiter voranzutreiben und Potenziale der Zusammenarbeit mit einem Logistikdienstleister wie Dachser aufzeigen», erläuterte Stefan Krüger, Sales Manager Dachser European Logistics Bern.

Weitere Informationen: Dachser Spedition AG

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