Besetzungspraxis von Verwaltungsräten in KMU mit viel Professionalisierungs-Potenzial
Rund 88 Prozent der Verwaltungsratsmitglieder in Schweizer KMU werden über interne Kanäle wie persönliche Netzwerke oder bestehende Kontakte rekrutiert. Externe Plattformen oder professionelle Dienstleister werden hingegen wenig genutzt. Eine repräsentative Studie an der Universität Zürich zur Evaluierung und Besetzung von VR-Positionen in KMU bestätigt diesen Trend.

In Schweizer KMU werden Verwaltungsräte nach wie vor mit viel „Vitamin B“ besetzt. Dieser Ansatz begrenzt allerdings die strategische Vielfalt, Diversität und Innovationskraft von Verwaltungsräten. Diesen Schluss zieht eine repräsentative Studie zur Besetzungspraxis von Verwaltungsräten in Schweizer KMU, die Pascal Sieder im Rahmen einer Masterarbeit an der Universität Zürich durchgeführt hat. Darin zeigt Pascal Sieder auf, dass bei KMU-Verwaltungsräten noch grosses strategisches Potenzial in der Etablierung gezielter und diversifizierter Rekrutierungsstrategien liegt. Dadurch können Kompetenzlücken geschlossen, der Auswahlprozess professionalisiert und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden. Diese Massnahmen und die Forschungsarbeiten auf Basis der in dieser Studie gewonnenen Daten tragen dazu bei, die Effektivität und Nachhaltigkeit der Corporate Governance der KMU in der Schweiz weiter zu stärken. Die Masterarbeit wurde im Zeitraum vom September 2024 bis Januar 2025 verfasst und wurde durch Dr. Christoph Wenk Bernasconi von der Finance Executive Education der Universität Zürich betreut. Die Initiative zur Realisierung der Studie zum Thema der Besetzungspraxis von Verwaltungsräten in KMU geht zurück auf Tobias Herren, Rechtsanwalt der Bratschi AG, Ständerätin Petra Gössi, Raoul Stöhlker, Geschäftsführender Partner der Stöhlker AG und Dominic Lüthi, Gründer von VRMandat.com.
Besetzungspraxis von Verwaltungsräten: Oft wenig strukturiert
Die Umfrage unter 730 VR-Mitgliedern von Schweizer KMU kombiniert quantitative und qualitative Methoden. Die differenzierte Auswertung nach Unternehmensgrösse und Sprachregion beleuchtet Rekrutierungskanäle, Kompetenzanforderungen, Evaluierungsprozesse und Herausforderungen einer kompetenzbasierten Erneuerung von Verwaltungsräten.
Wie eingangs erwähnt, dominiert die informelle Rekrutierung. Rund 88 Prozent der neuen VR-Mitglieder werden über interne Kanäle, meist durch persönliche Netzwerke rekrutiert. Besonders kleine Unternehmen (weniger als 49 Mitarbeitende) setzen auf familiäre und persönliche Beziehungen, während mittlere Unternehmen (50-250 Mitarbeitende) etwas offener für externe Rekrutierungsmethoden sind. Externe Kanäle wie Vermittlungs-Plattformen, Personalvermittler oder Netzwerkplattformen spielen eine untergeordnete Rolle und machen insgesamt rund 12 Prozent der Rekrutierungen aus.
Ferner variieren die Kompetenzanforderungen. Der Fokus liegt auf branchenspezifischem Wissen und strategischer Kompetenz. Weitere gefragte Fähigkeiten sind Risikomanagement, Digitalisierung/KI und Marketing. Während mittelgrosse Unternehmen tendenziell Schwierigkeiten haben, VR-Mitglieder mit den gewünschten Kompetenzen zu finden, kämpfen kleinere KMU eher mit dem Problem, überhaupt mögliche Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Diversität spielt in der Praxis entsprechend nur eine untergeordnete Rolle. Zudem finden Evaluationen meist nur anlassbezogen statt, beispielsweise bei strategischen Neuausrichtungen oder dem Ausscheiden eines Mitglieds. Besonders kleinere KMU haben kaum strukturierte Evaluierungsprozesse. In mittleren KMU sind erste Professionalisierungstendenzen sichtbar, jedoch bestehen noch grosse Optimierungspotenziale.

Die starke Abhängigkeit von informellen Netzwerken, begrenzte zeitliche und finanzielle Ressourcen sowie die Unternehmenskultur bremsen die strukturelle Entwicklung von KMU-Verwaltungsräten. In über 28 Prozent der KMU sind weniger als 10 Prozent der VR-Mitglieder unabhängig, was kritische Perspektiven und strategische Vielfalt beeinträchtigt, so ein weiterer Befund der Studie.
Regionale Unterschiede
Die Studie zeigt überdies signifikante Unterschiede zwischen den Sprachregionen der Schweiz. Während Unternehmen in der Deutschschweiz insgesamt professioneller rekrutieren und evaluieren, setzen KMU in der Romandie und im Tessin noch stärker auf bestehende persönliche Netzwerke. Bei mittleren KMU findet die Studie ein stärkeres Bewusstsein, dass externe Kandidatinnen und Kandidaten für die Entwicklung des Unternehmens wertvoll sein können. Dem wird, insbesondere durch den verstärkten Einbezug externer Expertise im Suchprozess und dem Ziel eine höhere Diversität in den Verwaltungsräten zu erreichen, Rechnung getragen.
Professionalisierung notwendig
Zusammenfassend zeigt die Untersuchung, dass kleine Unternehmen stark auf kurzfristige operative Anforderungen fokussiert sind und deshalb wenig Zeit für die Rekrutierung neuer Mitglieder bleibt. Dagegen setzen mittelgrosse KMU zunehmend externe Kanäle setzen und weisen entsprechende Professionalisierungstendenzen auf. «Mit einer weiteren Professionalisierung in der Rekrutierung von Verwaltungsräten können die Innovationskraft von Schweizer KMU tendenziell gesteigert und die Prozesse verbessert werden», sagt Pascal Sieder.
In der Professionalisierung der Evaluierungs- und Rekrutierungsprozesse in KMU-Verwaltungsräten steckt also noch viel Potenzial. Wird im Unternehmen realisiert, dass die Arbeit des VR langfristig ein wichtiger Werttreiber ist, steigt auch die Bereitschaft, die strategische Handlungsfähigkeit der Verwaltungsräte nachhaltig zu verbessern. Je diverser die langfristigen strategischen Überlegungen in die Entscheidungsprozesse einfliessen, desto besser steht es grundsätzlich um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Eine Professionalisierung ihrer Rekrutierungs- und Evaluierungsprozesse kann KMUs dabei unterstützen, langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Dazu gehören:
- Stärkung des Bewusstseins der strategischen Rolle des VR als langfristiger Werttreiber des KMU.
- Systematische Kompetenzbewertungen, um bestehende Lücken zu identifizieren.
- Die bewusste Förderung von Diversität und Unabhängigkeit im Verwaltungsrat.
- Der vermehrte Einsatz externer Plattformen und professioneller Dienstleister.
- Weiterbildungsangebote für VR-Mitglieder, um neue Herausforderungen gezielt zu bewältigen.