Gamification: Aus Spass wird Cashflow

Was können Customer-Experience-Manager von Game-Designern lernen? Game-Designern gelingt nämlich, was viele Unternehmen sich sehr wünschen, wenn nicht gar dringend brauchen: Sie bringen ihre Zielgruppe regelmässig und zuverlässig in den «Flow».

Strategien des Game-Designs lassen sich auch in die Unternehmenswelt übertragen. ©Unsplash.com
Strategien des Game-Designs lassen sich auch in die Unternehmenswelt übertragen. ©Unsplash.com

Unternehmen von heute sind im Vergleich zu ihren Vorgängern aus dem letzten Jahrhundert nicht zu beneiden: Henry Ford konnte sich noch (erfolgreich) auf den Standpunkt stellen, man könne sein Model T in jeder Farbe haben, die man wolle, solange es Schwarz sei. Er konnte sich das leisten, weil auf den Märkten zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Kapazität und damit die Produktivität der Unternehmen der entscheidende Engpass war.

Dies machen auch die Kriterien deutlich, anhand derer Historiker die Phasen der Industrialisierung einteilen: Eine neues Level wird jeweils durch eine neue Schlüsseltechnologie in der Produktion (Dampfmaschine, Fliessband, Computer und aktuell das Internet der Dinge) eingeleitet. Die Geschichte der Wirtschaft der letzten 150 Jahre wird somit auch heute noch vollständig aus der Perspektive der Anbieterseite von Märkten erzählt. Und tatsächlich ist diese Industrialisierung eine Erfolgsgeschichte, die uns eine nie dagewesene Zunahme an verfügbaren Waren und Dienstleistungen gebracht hat.

Dass Customer-Experience-Management für Unternehmen heute überhaupt ein Thema ist, hängt mit einer entscheidenden Nebenwirkung ebendieses Erfolgs zusammen. Denn anfangs traf die Explosion des Outputs noch auf eine begierige Nachfrage. Wenn die Alternative zu einem durch moderne Technik erschwinglichen Model T «kein Auto» heisst, dann ist die Farbe tatsächlich Nebensache. Aber die Fortschritte bei der Optimierung auf der Angebotsseite haben spätestens seit der Mitte des letzten Jahrhunderts selbst dafür gesorgt, dass sich der Engpass für Unternehmen von der Herstellung immer mehr auf den Absatz verlagerte. Der Kunde kam als Erfolgskriterium ins Spiel.

Was genau ist «the business of business»?

Gemäss einem berüchtigten (und falschen) Satz von Milton Friedman heisst es: «The business of business is business.» Richtig ist, dass Unternehmen – wenigstens in einer Marktwirtschaft – nur erfolgreich sein können, wenn sie für Kunden wertschöpfend sind und wenn sie gleichzeitig einen Teil dieses Wertes – in Form von Umsatz – abschöpfen können. Die Art und Weise, wie ein Unternehmen diese beiden Aufgaben organisiert, heisst Geschäftsmodell.

Somit stand die Frage nach dem Wert, den der eigene Output für einen Kunden hat, schon immer im Zentrum. Aber was Kunden als wertvoll erleben, das hat sich im Laufe der Zeit massgeblich verschoben. Einen sehr guten Vorschlag für eine Beschreibung dieser Verschiebung haben B. Joseph Pine und James H. Gilmore in ihrem Buch «Die Experience-Ökonomie» gemacht (siehe Grafik).

The Progress of Economic Value. (Quelle: https://hbr.org/1998/07/welcome-to-the-experience-economy, Pine & Gilmore (2011), The Experience Economy – Competing for Customer Time, Attention, and Money, Harvard Business Review Press) © Bildcredit
The Progress of Economic Value. (Quelle: https://hbr.org/1998/07/welcome-to-the-experience-economy, Pine & Gilmore (2011), The Experience Economy – Competing for Customer Time, Attention, and Money, Harvard Business Review Press)

Diese Entwicklung erklärt sowohl die Aktualität des Themas «Experience» als auch vor allem seine strategische Bedeutung. Wer als Anbieter im Wettbewerb bestehen bleiben will, der muss sich aus dem immer weniger differenzierenden Feld der Anbieter von Waren und Dienstleistungen abheben und «Erlebnisse» erzeugen. Der Kunde bestellt heute kein Auto mehr, er kauft «Freude am Fahren».

Die radikale Folge für Unternehmen: Wertschöpfung als Experience findet gar nicht mehr im Unternehmen statt, sondern in Kopf, Bauch oder Herzen des Konsumenten. Das psychische Innere der Kunden entzieht sich aber dem direkten Zugriff und kann auch nicht mit Produktionsmitteln beherrscht und optimiert werden. Deshalb brauchen Unternehmen neue Kompetenzen, um den neuen Hauptort des Geschehens, die Wahrnehmungen, Emotionen, Haltungen und Gefühle ihrer Zielgruppen, systematisch zu bearbeiten: Die Rolle des Customer-Experience-Managements ist geboren.

Customer-Experience-Manager – Mission Impossible?

Customer-Experience-Manager sollen also etwas managen, auf das sie keinen direkten Zugriff haben. Ausserdem muss, wer ein Erlebnis erzeugen will, erst einmal wahrgenommen werden, also die Aufmerksamkeit des Kunden gewinnen. Die Digitalisierung auf der Seite der Konsumenten, Stichwort Social Media, hat diese Aufgabe zu einem Kampf auf dem Schlachtfeld der Kanäle und Touchpoints eskalieren lassen.

Schliesslich gibt es DEN Kunden auch nicht im Singular: Wie eine Experience ausfällt, hängt unter anderem von Handlungskontext, individueller Vorgeschichte, Persönlichkeitsmerkmalen, Präferenzen und situativen Faktoren ab. Und viele dieser Faktoren sind nicht einmal den Kunden selbst bewusst.

Game-Based Design als Vorbild

Game-Designer stehen vor noch grösseren Schwierigkeiten im Kampf um Aufmerksamkeit und Ressourcen ihrer Zielgruppe, denn sie haben zusätzlich ein noch weitaus ernsthafteres Problem: Die Aktivitäten, zu denen Spiele auffordern, sind nämlich definitionsgemäss zwecklos.

Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass es den Game-Designern trotzdem gelingt, systematisch und regelmässig Top-Experiences zu erzeugen. Und dies in einem riesigen Ausmass. Die Game-Branche macht heute mehr Umsatz als die Film- und Musikindustrie zusammen. Sie ahnen jetzt, dass es etwas geben muss, das Game-Designer besonders gut machen und von dem sich auch CX-Manager eine Scheibe abschneiden könnten.

Unter dem Schlagwort «Gamification» als «die Anwendung von Game-Design-Prinzipien in anderen Kontexten als in Spielen» rückten sie deshalb vor gut zehn Jahren in den Fokus der Forschung. Man begann zu untersuchen, wie sich das Know-how und die Methoden der Game-Designer für Unternehmen fruchtbar machen lassen.

Will man Strategien des Game-Designs in die Unternehmenswelt übertragen, dann erweist sich gerade die Zwecklosigkeit des Handelns in Spielen als ein wichtiger Einstiegspunkt. Man kann nämlich davon ausgehen, dass der INHALT des Handelns für die Begeisterung der Akteure ohne Bedeutung ist. Damit bleibt der KONTEXT des Handelns als Ursache übrig. Dieser wird durch geschicktes Kombinieren von Game-Design-Elementen so gestaltet, dass die angestrebte Experience in der Wechselwirkung zwischen Spieler und Spiel erzeugt wird.

In den letzten Jahren haben wir viel darüber gelernt, was funktioniert – und was nicht. Für Sie hier die zwei wichtigsten Erkenntnisse und Take-aways für Customer-Experience-Manager:

Design für Motivation, nicht für Belohnung

Niemand spielt, weil er dafür bezahlt wird. Oder weil er Punkte oder Orden erhalten möchte. Streng genommen, spielt man auch nicht, weil man gewinnen will. Was Menschen beim Spielen antreibt – und was sie dabei in den Flow bringt – sind universelle intrinsische Motive und Bedürfnisse, die wir als Menschen immer schon mitbringen. Die drei mächtigsten sind soziale Beziehungen sowie das Erleben der eigenen Kompetenz und Autonomie.

Entsprechend laden uns Spiele ein (-> Autonomie), Herausforderungen (-> Kompetenz) anzunehmen und sie gemeinsam mit anderen (-> soziale Beziehungen) und oft auch auf verschiedene Art und Weise (-> Autonomie) zu meistern (-> Kompetenz). Der Sieg ist das Zeichen dafür, dass man es geschafft hat.

Unternehmen vertrauen selten auf diese intrinsischen Quellen von Engagement ihrer Kunden. Die Positionierung am Markt zielt meist auf Nützlichkeit und ist vor allem transaktional – Leistung gegen Bezahlung. Ausnahmen und Ausdruck erfolgreichen Motivationsdesigns sind zum Beispiel Communitys von Kunden oder Mitarbeitenden. Deren Mitglieder werden oft durch Zugehörigkeit und gegenseitige Hilfestellung oder durch das Erreichen eines gemeinsamen Zwecks oder die Bewältigung einer gemeinsamen Aufgabe motiviert.

Stellen Sie sich doch probehalber einmal selbst die Frage: Den Aufbau welcher Beziehung oder das Meistern welcher Challenge könnten Ihre Kunden mit Ihrer Hilfe in Angriff nehmen? Und welche Experiences könnten dabei entstehen?

Denken in Journeys, nicht in Funnels

Erfolgreiche Spiele sind auf ein langfristiges Engagement ihrer Spieler ausgelegt und laden auf eine Reise ein. Dasselbe gilt für Unternehmen und ihre Kunden. Und wer loyale Spieler (Kunden) will, der muss diese Reise in der Zeit strukturieren. Das wichtigste Game-Design-Elemente hierfür ist Storytelling. Aber Achtung: In dieser Story sind nicht Sie der Held, sondern Ihr Kunde. Ihre Rolle ist die des Guides.

Die zeitliche Segmentierung macht es möglich, unterschiedliche Reifegrade, Fähigkeiten und Interessen der Akteure zu berücksichtigen. Aus der Psychologie ist bekannt, dass Flow dort einsetzt, wo Kompetenzen und Herausforderungen in einem optimalen Verhältnis zueinander stehen. Richtig eingesetzt, bieten sich hier für Unternehmen interessante Möglichkeiten, indem sie ihre Kunden fordern.

Denken Sie zum Spass einmal darüber nach, wie eine solche Dramaturgie für Ihre Kunden aussehen könnte: Was würden die typischen Phasen eines Spiels vom Onboarding über Discovery, Habit Building bis Mastery bei ihrer Customer Journey bedeuten können? Welche Kompetenzen könnten Ihre Kunden mit Ihrer Hilfe aufbauen? Und was könnten Sie ihnen dabei zumuten? Welche Experiences könnten dabei entstehen?

Jetzt sind Sie am Zug

Game-Designer sind die unbestrittenen Meister in der Kunst, grossartige virtuelle Erlebnisse zu gestalten. Als Customer-Experience-Manager können Sie von ihnen lernen, wie Sie für Ihre Kunden eine intrinsisch motivierende Reise gestalten. Ihr grosser Vorteil dabei: Die Reise Ihrer Kunden ist mehr als ein Spiel, sie findet in der Realität statt. Damit stehen Ihnen alle Möglichkeiten der Welt offen, um Ihre Kunden im Alltag in den Flow zu bringen. Worauf warten Sie also noch: Setzen Sie sich die Brille der Game-Designer auf und machen Sie den ersten Zug!

Autor

Wolfgang Rathert, lic.oec. HSG, leitet den CAS Digital Customer Experience (hslu.ch/dcx) und ist Dozent für Game-Based Design und Community Building an der Hochschule Luzern (HSLU). Wenn Sie mehr über die Möglichkeiten von Gamification im (digitalen) Marketing (oder in der Führung) erfahren möchten: Wolfgang Rathert freut sich auf Ihre Herausforderung, gerne mit Antwortgarantie: Linkedin.com/in/rathert/

Möchten Sie mehr über Gamification erfahren?

In einem 40-minütigen «Online Briefing» am 18. Dezember 2023 beantwortet der Autor die Frage «Welche Customer Experience bringt Gamification?». Als Leserinnen und Leser des ORGANISATOR sind Sie herzlich dazu eingeladen und können auch Ihre eigenen Fragen im Vorfeld einreichen. Die Anmeldung zum Online Briefing, durchgeführt in Form einer Videokonferenz via Zoom, finden Sie hier: https://smart-up.work/organisator-hslu.

Im März 2024 findet zudem wieder ein Executive Bootcamp der Hochschule Luzern statt. Erfahren Sie mehr über den erfolgreichen Aufbau und Betrieb von Communities und entwickeln Sie ein eigenes Community-Design. Weitere Informationen: https://tinyurl.com/ywduhld3.

 

 

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