Was bedeutet eigentlich… «kontextualisieren»?

Benno Maggi befasst sich in seiner Kolumne «Was bedeutet eigentlich…?» mit Begriffen aus dem Marketing- und Kommunikationsbereich. Dieses Mal behandelt er den Begriff «kontextualisieren».

Was für ein Unwort. Wird aber leider grad sehr häufig angewendet. Das männliche Substantiv Kontext hat ja schon länger Einzug gehalten im alltäglichen Sprachgebrauch. Das war schon kompliziert genug. Aber jetzt macht dieses Verb – oder altbacken formuliert dieses Tätigkeitswort – einem das Leben schwer, weil es ja per Definition zu einer Tätigkeit auffordert.

Plötzlich ist da das Bedürfnis oder die Pflicht, einen Text immer in einem Zusammenhang zu interpretieren. Das heisst, Informationen, Ereignisse oder Ideen isoliert betrachten reicht nicht mehr. Nein, wir müssen alles in Bezug auf die Umstände, in denen sie auftreten oder auf die sie sich beziehen und die Personen, die diese übermitteln, beurteilen. Danke vielmals. Die zeitlichen, politischen, ökonomischen, soziokulturellen und persönlichen Umstände spielen also eine wesentliche Rolle, wie wir etwas interpretieren sollen. Liest sich ganz schön kompliziert. Als wäre das Leben nicht schon sonst kompliziert genug, müssen wir jetzt alles noch kontextualisieren.

Indem wir etwas kontextualisieren, versuchen wir zu verstehen, wie es sich in sein grösseres Umfeld einfügt und wie es durch dieses Umfeld beeinflusst wird oder selbst Einfluss darauf ausübt. Können wir die Dinge nicht mehr einfach wieder nehmen, wie sie sind? Texte nicht mehr einfach lesen und geniessen und im besten Falle sogar verstehen? Muss denn wirklich alles kontextualisiert werden? JEIN. Um für einmal dieses unsägliche Kofferwort zu bemühen.

Wer alles berücksichtigen will, hat am Ende nichts

JA, weil sonst die Gefahr gross ist, irregeleitet zu werden. Wenn wir Aussagen nicht in einen grösseren Zusammenhang stellen, könnten wir manipuliert werden. Das Kontextualisieren hilft uns, etwas einzuordnen, um es besser zu verstehen. Wenn wir zum Beispiel berücksichtigen, dass nicht alles, was uns in den Sozialen Medien beim Scrollen begegnet, auch richtig und wirklich ist, dann hilft das. Oder wenn wir berücksichtigen, dass der Pitch nicht wegen den Leistungen der vielen eingeladenen Agenturen verloren ging, sondern weil die Auftraggeber bereits bevor präsentiert wurde schon wussten, für wen sie sich entscheiden würden, dann lindert das zwar nicht den Schmerz, aber es kontextualisiert die schnöde Absage. Aber wenn dann auch noch in Meetings mit bestehenden Kunden ständig alles kontextualisiert, etwas kontextual betrachtet werden muss oder sogar von kontextsensitiven Elementen die Rede ist, dann wird das alles doch etwas gar anstrengend.

Deshalb: NEIN, weil wir, wenn ständig kontextualisiert wird, nicht vom Fleck kommen. Wenn nämlich jede Idee, jedes Konzept, jede Lösung erstmal im grösseren Zusammenhang betrachtet werden muss, lauert die Gefahr, dass sie komplett zerredet wird und stirbt, bevor sie überhaupt erwachsen ist. Es gibt drumherum immer genug Wenn und Abers, die zum Gamestopper werden können. Statt dauernd zu kontextualisieren, sollten wir vielleicht etwas mehr reflektieren. Denn reflektieren bezieht sich auf den Denkprozess, bei dem über die eigenen Gedanken, Gefühle, Erfahrungen oder Handlungen nachgedacht wird. Das reicht meistens. Aber Obacht, Reflektion erfordert Selbstbewusstsein und Selbstkritik. Es geht darum, bewusst über Vergangenes oder Gegenwärtiges nachzudenken, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen oder sich weiterzuentwickeln. Das ist hart, aber wertvoll.

Kontextualisieren hingegen bezieht sich nur darauf, etwas in seinen Zusammenhang oder Kontext zu stellen, um es besser zu verstehen. Und das bietet dann diesen Raum für Entschuldigungen, etwas nicht entscheiden zu müssen und an den Absender zurückzuspielen.


Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er lauscht seit über 30 Jahren in der Branche und entdeckt dabei für uns Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach so verwendet werden können.


Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf werbewoche.ch - https://www.werbewoche.ch/de/marketing/was-bedeutet-eigentlich/2024-04-26/was-bedeutet-eigentlich-kontextualisieren/

Weitere Beiträge zum Thema