«CMOs werden zu ‹E-CMOs› und müssen ihr Stellenprofil neu schreiben»

Wer glaubt, seine digitalen Hausaufgaben erledigt zu haben, wird in China eines Besseren belehrt. Jochen Sengpiehl, ehemaliger Global CMO von Volkswagen und zuletzt CMO sowie Head of Product Strategy im grössten Markt der Welt, kennt die Spielregeln der Zukunft. In seinem Vortrag beim Schweizer Markenkongress wird er aufzeigen, wie KI und chinesische Geschwindigkeit die Markenführung neu definieren – und warum CMOs jetzt radikal umdenken müssen. Im Interview gibt er einen kleinen Vorgeschmack.

(Bild: zVg. Sengphiehl)

Jochen Sengpiehl, als ehemaliger CMO von Volkswagen China haben Sie den dynamischen chinesischen Markt hautnah erlebt und haben die Transformation von Volkswagen in Richtung Elektromobilität und Digitalisierung massgeblich mitgestaltet. Welche Herausforderungen mussten Sie überwinden?

Jochen Sengpiehl: Aufgrund der weltweiten Reiseeinschränkungen durch die Covid-Pandemie war es für mehr als zwei Jahre nicht möglich, den chinesischen Markt und die Wettbewerbssituation zu analysieren. Als wir im August 2022 nach zehn Tagen harter Quarantäne im Hotel in Peking zum ersten Mal das Strassenbild und die Wettbewerbssituation wahrgenommen haben, trauten wir kaum unseren Augen. Unglaublich, was die chinesischen Hersteller in dieser Zeit für eine Innovationspower entwickelt haben – und wie deutlich sie uns deutsche OEMs [Originalgerätehersteller, Anm. d. Red.] technologisch bezüglich Software, Sensorik, Batterie, Design, autonomem Fahren und so weiter überholt hatten.

 

Was gab es zu tun?

In der ersten Phase war es zwingend notwendig, eine harte und schonungslose Analyse der Wettbewerbssituation zu machen und daraus konkrete Strategien und Massnahmen abzuleiten. Die Key-Learnings waren: es braucht fünf Dinge. Zuallererst eine «China für China»-Strategie, also eine stärkere Unabhängigkeit vom deutschen Headquarter mit mehr Eigenverantwortung. Zweitens müssen wir eigene Forschungs- und Entwicklungskompetenzen aufbauen und für China eine eigene langfristige und wettbewerbsfähige Produktstrategie aufbauen. Dritten müssen wir die Marke in China repositionieren und modernisieren. Viertens müssen wir strategische Allianzen in den Bereichen Software, Einkauf und Entwicklung auf- beziehungsweise ausbauen. Und fünftens müssen wir eine neue Design-Sprache für E-Autos auf Basis der chinesischen Kundenbedürfnisse entwickeln.

 

Was können westliche Unternehmen vom Innovationstempo in China lernen?

«China speed» ist das Schlüsselwort. Chinesische Unternehmen digitalisieren die gesamte Wertschöpfungskette sämtlicher B2C-Branchen. Sie bauen dafür holistische digitale Ökosysteme auf und integrieren dort auch Social-Commerce-Optionen. Gleichzeitig werden innovative Schlüsselbranchen staatlich unterstützt. Und schlussendlich ist die gesamte Gesellschaft motiviert, ehrgeizig und leistungsorientiert – und hat dies auch als Purpose verinnerlicht.

 

Wie müssen sich Organisationen anpassen, um von dieser Geschwindigkeit nicht überrollt zu werden?

Die Europäischen Konzerne haben schon jetzt in grossen Teilen die digitale Transformation verschlafen. China und USA sind uns in den Bereichen digitaler Vertrieb und Marketing zwei bis drei Jahre voraus und sind mit KI schon in der nächsten Transformationsgeneration. Der Schlüssel ist ein radikales Umdenken bezüglich der organisatorischen Verantwortlichkeiten und der Steuerung der prozessualen Vermarktungswertschöpfungslette. Dinge wie Vertrieb, Marketing, PR und Customer Data müssen digital vernetzt und Teil einer holistischen Strategie entlang aller Customer Touchpoints werden.

 

Was ist Ihre wichtigste Empfehlung an CMOs im Umgang mit KI?

KI ist Chefsache und muss von oben gesteuert ganzheitlich in die Organisationen integriert werden. Die vertikalen Siloorganisationen und Bereichsegoismen stehen dabei dem Ziel einer beweglichen Organisation im Wege. CMOs werden zu «E-CMOs» und müssen ihr Stellenprofil neu schreiben. Für fast alle Branchen gilt: digital, digital, digital! Darüber hinaus braucht es zukünftig einen eigenen Vorstand für das Ressort KI – mit Power und Durchgriff in alle Einheiten.


Der Schweizer Markenkongress ist der grösste Branchentreff für Marken-Entscheider:innen, Dienstleister:innen sowie Medienvertreter:innen. Am 23. Juni 2025 trifft sich die Branche wieder im «The Dolder Grand Hotel» Zürich. Inhaltlich geht es um die Herausforderungen im Markenmanagement. m&k ist Medienpartnerin.

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