Blüten und Perlen: «Du» oder nicht «Du», das ist hier die Frage

Sarah Pally, Linguistin und Partnerin bei der Agentur Partner & Partner, nimmt in ihrer Kolumne «Blüten und Perlen» die (Werbe-)Sprache unter die Lupe. Dieses Mal dreht sich alles um Brands, die Duzen.

Der Zeitgeist macht vor Brandings und Rebrandings natürlich auch nicht halt. Und das bedeutet, dass sich Brands seit einiger Zeit gerne nahbar, sympathisch, auf Augenhöhe geben. In den Diskussionen zur konkreten Ausgestaltung kommt es daher fast immer zur Frage, ob man also nicht per Du kommunizieren müsste. Hätte, hätte, Fahrradkette… Denn am Schluss sieht alles wieder anders aus – wie in einem guten griechischen Drama.

Erster Akt: Euphoria (kurz)

(Re)Branding-Workshop, irgendwann kommt der Satz, so oder so ähnlich: «…dann müssten wir aber mit Du gehen.» Bähm, das Schauspiel beginnt. Nicken, Schmunzeln, bestätigende Voten. Man sieht förmlich, wie die Fantasie mit den Beteiligten durchgeht – endlich frei von diesem förmlichen, unnatürlichen «Sie»! Ok, cool, geniessen wir diesen naiven Moment, bevor wir ihn wieder verderben.

Zweiter Akt: Ringen um die Lösung

Erste Wolken ziehen auf: «Also auch zum Beispiel gegenüber den Lieferanten? Oder dem Verwaltungsratspräsidenten? Oder den Shareholdern?»…*zirpzirp*… «Guter Punkt – klar können wir nicht alle per Du ansprechen, aber halt einfach die Kunden». «Also auch die Verwaltungsratspräsidentin des Kunden? Und auch, wenn der Kunde stinkig im Call Center anruft? Und auf der Rechnung steht auch du?»

Und da haben wir den Schlamassel, das Drama ist angerichtet. Ob fresh oder frech – wie das «Du» ankommt, entscheidet sich anhand der Matrix des Grauens: Es gibt verschiedene Zielgruppen, verschiedene Kanäle und verschiedene Situationen – und alle möglichen Kombinationen davon. Jetzt kann man hingehen und diese Matrix tatsächlich durchspielen, zumindest ansatzweise. Denn ein generisches «Du» auf einem Plakat ist eben wirklich etwas anderes als ein persönliches «Du» am Telefon oder auf der Rechnung. Ersteres wirkt locker, oft auch sehr natürlich, zweiteres eher übergriffig. Das heisst: Wenn man wirklich, wirklich wollen würde, fände man wahrscheinlich eine ganz okaye Lösung. Aber da stellt sich garantiert die berittene Prinzipienpolizei mit dem leidigen Killerargument «aber das ist inkonsequent» davor. So nicht, da könnte ja jede:r kommen, das haben wir noch nie so gemacht!

Dritter Akt: Die Entscheidung

Wir sind am Höhepunkt angelangt: Was wird Überhand nehmen? Die Zuversicht, dass diese Probleme lösbar sind, wenn sie auftauchen? Die Angst davor, zu wenig konsequent zu wirken?

Doch plötzlich steht er in glänzender Rüstung da: Der vermeintlich rettende Deus ex Machina und sagt nonchalant «wir können doch einfach auf direkte Ansprache verzichten (und so das Problem umschiffen, wie Odysseus es mit Insel der Sirenen hätte tun sollen)?». Alle nicken, von der glanzvollen Idee geblendet, und freuen sich schon, dass die Diskussion damit endlich erschlagen ist.

Bloss: Bei der Ansprache ist es ein bisschen so, wie beim Augenkontakt. Wenn man ihn vermeidet, dann wirkt das halt alles andere als nahbar und sympathisch. Diese Feststellung markiert dann meist das Ende des laufenden Gesprächs: Der letzte Hauch Euphorie verlässt den Raum wie die Luft den losgelassenen Ballon. Schwach, müde und hungrig beschliesst man, das Thema zu vertagen (es wird nie wieder Thema werden).

Dieses klassische Drama wird sich noch viele Male wiederholen. Und allen, die ihre Zielgruppe mehr oder weniger konsequent mit «Du» ansprechen, gehört ein Kränzchen gewunden: Ihr habt irgendwo den Ausweg gefunden und zieht das Du entweder knallhart durch oder habt Kompromisse gefunden – vielleicht sogar mit gesundem Menschenverstand. Ob das in eurem Fall gut ist oder nicht, mögen die Götter urteilen. Aber es ist zumindest ziemlich heroisch.


Seit 2025 analysiert Sarah Pally in ihrer Kolumne «Blüten und Perlen» Begriffe mit Branchenbezug und kommentiert sie mit persönlicher Note, aus einer linguistischen Perspektive – sowie auch mit präzisem Blick auf die Entwicklungen in der Branche. Pally ist Teilhaberin der Agentur Partner & Partner in Winterthur. Sie ist seit 15 Jahren mit den Themen Contentmarketing, Text/Konzept und Storytelling im Kommunikations- und Marketingbereich unterwegs.

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