Markenkongress 2025: KI, Content, Kulturwandel

Beim Schweizer Markenkongress 2025 wurde klar: Künstliche Intelligenz verändert nicht nur das Wie, sondern auch das Was der Markenführung. Wer bestehen will, braucht Klarheit im Purpose, Präzision im Prozess – und den Mut zur Neuausrichtung.

Hoch über der Stadt, mit Blick über See und Alpen, traf sich im Dolder Grand die Markenelite. Der Schweizer Markenkongress versammelte erneut rund 650 Führungskräfte, Agenturköpfe und Markenexpertinnen, um zu diskutieren, was Marken heute stark macht – und morgen unersetzlich. Mitten in Zeiten exponentiellen Wandels wurde deutlich: Wer Marken führt, braucht Weitblick – technologisch, kulturell und kreativ.

Ausgezeichnete Markenführung – aus Malters und von der HSG

Zwei Persönlichkeiten standen bei der Verleihung der Markenpreise der Swiss Academy of Marketing Science im Fokus:

Marc Gläser, CEO von Stöckli Swiss Sports AG, wurde mit dem «Marketing Thought Leader Award» 2025 ausgezeichnet. Seine Erfolgsbilanz: Die konsequente Fokussierung des Unternehmens auf Ski, gepaart mit einer Exzellenzstrategie, die von Handarbeit, Innovationskraft und Athlet:innen getragen wird. Stöckli entwickelte sich unter seiner Führung von einer breiten Sportartikelmarke zu einem hochspezialisierten Anbieter für Premium-Skis – mit Marco Odermatt als leuchtendem Testimonial.

Wurden mit Marketingpreisen geehrt: Marc Gläser (CEO Stöckli Swiss Sports AG) und Prof. Dr. Johanna Gollnhofer von der Universität St. Gallen

Prof. Dr. Johanna Gollnhofer, Konsumforscherin an der HSG, wurde mit dem «Rigor & Relevance Research Award» geehrt. Ihre Studien zum «Konsum im Überfluss» zeigen, wie stark materielle Dinge mit Ordnung, Identität und emotionalem Halt verknüpft sind – ein Thema, das auch Marken nicht ignorieren können. Ihr Fazit: Volle Schränke erzählen mehr über uns, als wir denken. Für Marken bedeutet das: Wer verstehen will, wie Menschen kaufen, muss verstehen, wie sie leben.

Prof. Dr. Reto Hofstetter (Universität Luzern), Marc Gläser (CEO Stöckli Swiss Sports AG), Prof. Dr. Johanna Gollnhofer von der Universität St. Gallen mit Stephan Feige, CEO htp St. Gallen (von links)

KI bei Beiersdorf: Strukturierte Transformation statt Hype

Wie umfassend der KI-Einsatz in Unternehmen bereits ist, zeigte Jasmin Quellmann, Head of MarTech & AI bei Beiersdorf, in einem der eindrucksvollsten Vorträge des Tages. Das Hamburger Traditionsunternehmen hinter Marken wie Nivea, Eucerin oder Labello setzt nicht auf lose Tests, sondern auf ein durchdachtes Framework namens «Amy» – eine Kombination aus technologischer Exzellenz und internem Change-Management.

Schweizer Markenkongress 2025 mit Jasmin Quellmann, Head of MarTech & AI, Beiersdorf

Amy steht für «AI» und «me» – die bewusste Verbindung von Technologie und Mensch. Mehr als 40 konkrete Use Cases wurden identifiziert, validiert und in einem strukturierten Governance-Prozess evaluiert. Die Spannbreite reicht von intelligenter Schrifterkennung in DAM-Systemen über KI-unterstütztes Storyboarding mit Tools wie Bria bis hin zu Ethikrichtlinien für KI-generierte Bilder, insbesondere in sensiblen Bereichen wie Hautdarstellung.

Beiersdorf verfolgt dabei ein klares Ziel: KI soll nicht nur Effizienz bringen, sondern Raum für mehr Kreativität schaffen – durch Automatisierung repetitiver Aufgaben und durch bessere Insights aus R&D und Marktforschung.

Ein Highlight war das Beispiel zur Lokalisierung von Produkt-Visuals: Wo früher dutzende Varianten manuell erstellt werden mussten, generiert KI heute in Sekunden lokalisierte Formate, etwa für E-Commerce oder Social Media. Auch bei Voiceover, Model-Rechteverwaltung und Qualitätssicherung wird KI gezielt eingesetzt.

Quellmann machte aber auch klar: Über 50 % aller KI-Projekte scheitern. Gründe sind fehlende Passung, rechtliche Risiken oder mangelnde Integration. «KI ist kein Dressurpferd», sagte sie, «sie ist ein wilder Ritt. Aber einer, der sich lohnt – wenn man bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.»

Publicis: Campaigning im Takt der Algorithmen

Auch bei Publicis ist KI nicht mehr Kür, sondern Teil des Tagesgeschäfts. Pascal Winkler, Chief Strategy Officer der Gruppe, zeichnete ein deutliches Bild der neuen Realität: Die Konsumentenreise ist fragmentiert, Plattformen entscheiden, was gesehen wird – nicht mehr Marken. Wer heute noch in Jahresplänen denkt, verliert.

Publicis hat deshalb mit «Jane Canvas» ein Tool entwickelt, das den gesamten Kreativprozess orchestriert – von Insight über Konzeption bis zur visuellen Umsetzung. Dank zentraler KI-Tools können Kampagnen iterativ entstehen, schneller getestet und in Serie adaptiert werden. Die Verbindung von Gen AI, analytischer KI und Media-Intelligenz schafft dabei neue Möglichkeiten – etwa bei der Post-Campaign-Analyse, wo ein Commercial Mix Model den besten ROI kanalübergreifend berechnet.

Die Botschaft: Kreativität bleibt menschlich, aber sie verändert sich. Nicht durch Verzicht, sondern durch einen neuen Zugang zu Ideen.

Lindt: Zwischen Stretch und Stabilität

Andrea Hänggi von Lindt gab Einblicke, wie die Traditionsmarke ihren Innovationsscore um 13,2 % steigern konnte – insbesondere durch die aufmerksamkeitsstarke «Dubai-Schokolade». Die Aktion traf den Nerv einer jüngeren Zielgruppe und zeigte, dass selbst etablierte Marken zu kulturellen Impulsen fähig sind.

Ein Balanceakt sei es dennoch, so Hänggi: Die Zusammenarbeit mit Creators erfordere klare Briefings, Freiräume – aber auch Veto-Rechte. Lindt will am Puls bleiben, ohne dabei das Markengerüst zu verlieren. Social Listening bleibe zentral – neue Kampagnen seien offen, aber keine Selbstläufer.

Post Advertising: Crossmedia im Herzstück des Geschehens

Für Sabrina Wettstein, Vertreterin des Hauptsponsors Post Advertising, ist der Kongress ein «strategisches Homebase-Event». Seit drei Jahren mit an Bord, spüre man, wie sehr sich die Partnerschaft auszahlt – geschäftlich wie kulturell.

Mit starken Auftritten und Dialogen – etwa mit Denner zum Thema Customer Centricity – zeige sich Post Advertising als crossmediale Anbieterin mit Nähe zu Retail und Bewegtbild. Das Thema Retail Media, so Wettstein, sei omnipräsent – ebenso wie die Leidenschaft für neue Kampagnen. Inspiration und Networking würden sich im Dolder ideal vereinen: «Man trifft bekannte Gesichter – und gewinnt neue Kund:innen.»

ESB: Die Revolution muss nicht überhastet sein

Hans-Willy Brockes, Veranstalter und CEO des ESB Marketing Netzwerks, plädierte für einen klaren Kopf in bewegten Zeiten:

«Wir stehen mitten in einer Revolution – aber die grosse Kunst ist es, ruhig zu bleiben.»

Die Marketingwelt sei komplexer denn je. Es gäbe nicht mehr «das» Highlight, sondern eine Vielzahl relevanter Themen – von KI über Bionic bis zu Live-Marketing. Die Gefahr? Sich zu verzetteln. Brockes riet dazu, Prioritäten zu setzen und sich Schritt für Schritt in die neue Welt zu bewegen.

Sein Reminder zur Kreativität kam ohne KI: «Die besten Ideen kommen nicht aus Modellen, sondern aus echten Köpfen.» Und seine persönliche Lieblingsmarke? Red Bull – wegen der Konsequenz, wie sie mit Emotion, Erlebnis und Sponsoring Welten schafft. «Mich wundert, dass das kaum jemand nachmacht – aber vielleicht ist es auch gut so.»

Die Marke als kulturelles System

Anina Segat (MetaDesign) und Marko Bjelonic (RIVR) diskutierten abschliessend, wie Markenführung im KI-Zeitalter neu gedacht werden kann – nicht als rein kommunikative, sondern als kulturelle Aufgabe. Marken seien Schnittstellen zwischen Mensch, Technologie und Gesellschaft. Wer sie gut führen will, braucht mehr als Tools – er braucht Haltung.

Fazit

Der Schweizer Markenkongress 2025 hat eindrucksvoll gezeigt: Markenführung ist heute kein lineares Geschäft mehr, sondern ein vielstimmiger Prozess. KI, kultureller Wandel, neue Touchpoints – alles verändert sich. Was bleibt, ist die Bedeutung von Haltung, Kreativität und Struktur. Und vielleicht ist es genau dieser Blick vom Zürichberg, der hilft, das Ganze zu sehen.

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