Real-World AI viel grösser als GenAI

Die sog. „Real-World AI“ wird die Zukunft viel stärker bestimmen als die heute populären generativen KI-Modelle wie ChatGPT, Google Gemini oder Grok von X.ai, prognostiziert die Denkfabrik Diplomatic Council, die zum engsten Beraterkreis der Vereinten Nationen gehört. KI in der realen Welt reicht von der autonomen Fertigung bis zur Smart City.

Sehen grösseres Potenzial von Physical AI im Vergleich zu Gen AI: Harald Müller (links) und Dr. Daniel Trauth vom Diplomatic Council. (Bild: zVg / Diplomatic Council)

Als Einsatzbeispiele für „KI in der realen Welt“, häufig auch als „Physical AI“ bezeichnet, gelten z.B. Fertigungsroboter und Humanoide, die Qualitätskontrolle mit KI-Kameras, die vorausschauende Maschinen- und Anlagenwartung, autonome Logistiksysteme, die medizinische Diagnose, selbstfahrende Autos und Smart Cities. Das Real-World AI Forum des Diplomatic Council lädt am 22. September zu einer Online-Konferenz über den KI-Einsatz in Städten und Gemeinden ein.

Anwendungsfall Smart City

„Der wahre Wert von KI liegt nicht im Hype um die Generierung von Texten, Bildern und Videos, sondern in ihrer tiefgreifenden Integration in die Kernprozesse der Industrie und der Kommunen“, erklärt Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts-Akademie (BWA) und Co-Chair des Real-World AI Forum im Diplomatic Council. Dr. Daniel Trauth, ebenfalls Co-Chair des Forums und Geschäftsführer der Kölner dataMatters GmbH, verdeutlich am Beispiel Smart City die Vorteile. Demnach könnten Kommunen allein durch die KI-Optimierung der Abfallwirtschaft rund 20 Prozent Kosten einsparen und die CO2-Emissionen um etwa 30 Prozent verringern. KI-gesteuerte Ampel- und vernetzte Verkehrsleitsysteme mit Parkplatzinformationen in Echtzeit führten zur Stau­reduzierung, und verringerten den CO2-Ausstoss weiter. Eine aktuelle McKinsey-Studie zeige, dass Smart-City-Lösungen den Energieverbrauch in öffentlichen Gebäuden um bis zu 15 Prozent reduzieren können (Smart Building).

Ein weiteres Beispiel ist die Optimierung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV). Dr. Daniel Trauth erläutert die Vorgehensweise anschaulich: „Durch LiDAR- und optische Sensoren in Bussen und Bahnen lässt sich genau erfassen, wie viele Sitz- und Stehplätze zu welchen Zeiten auf welchen Linien belegt sind, oder wie viele Kinder bzw. Erwachsene das Angebot nutzen. Diese Daten werden mittels Künstlicher Intelligenz ausgewertet und die KI kann darauf basierend Echtzeit-Empfehlungen zum optimalen Einsatz genau dieser Busse und Bahnen erarbeiten. Im Ergebnis führt das zu einer höheren ÖPNV-Akzeptanz bei den Bürgern, einem zielgenaueren Personaleinsatz und Reduzierungen bei den Kosten und der Umweltbelastung.“

Einsatzgebiet „intelligente Zerspanung“

Als Beispiel für eine industrielle KI-Anwendung mit weitreichenden Auswirkungen nennt Dr. Daniel Trauth die „intelligente Zerspanung“, an der sein Unternehmen dataMatters unter anderem gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen zusammen­arbeitet. Im Kern geht es darum, durch KI die hohen Qualitätsanforderungen in der zerspanenden Industrie besser und kostengünstiger zu erfüllen. Die Zerspanung, bei dem Werkstoff durch Drehen, Bohren, Fräsen oder Schleifen in die gewünschte Form und Grösse gebracht wird, bildet in vielen Industriezweigen eine wesentliche Grundlage der Fertigungstechnik, von der Automobil­produktion bis zur Herstellung medizinischer Instrumente.

Fehler im Zerspanungs­prozess können schwerwiegende Folgen haben, die von Produktausfällen bis hin zu Sicherheitsproblemen reichen. Strenge Qualitätskontrollen sind daher unerlässlich, aber auch zeitaufwändig und teuer. „Die automatisierte Überwachung und Analyse von Produktions­prozessen mittels KI kann die Prüfzeiten und den Kostenaufwand für die Qualitätssicherung erheblich reduzieren und die Genauigkeit der Qualitätsbewertung verbessern“, erklärt Dr. Daniel Trauth den Nutzen von „Real World AI“ anhand dieses Anwendungsbeispiels.

„Zerspanung ist nur eine von unzähligen Anwendungsbieten für Künstliche Intelligenz in der Fertigung“, ordnet Harald Müller ein. Letztlich gehe es um autonome Fabriken, also menschen­leere Produktionshallen, in denen ausschliesslich Roboter aktiv sind. Möglich würden die „Geister-Fabriken“ durch die Kombination aus Computertechnik, Vernetzung, Künstlicher Intelligenz, Robotik und neuartigen Fertigungsverfahren. Studien zufolge könnten dadurch die Betriebskosten um bis zu 25 Prozent gesenkt, die Produktivität um bis zu 30 Prozent gesteigert und die Fehlerquoten um bis zu 40 Prozent reduziert werden.

Smart Factory für mehr Wettbewerbsfähigkeit

Trotz der höheren Anfangsinvestitionen für den Bau einer Smart Factory, bei der rund ein Drittel der Gesamtkosten auf Sensorik, Software und Infrastruktur entfielen, amortisiere sich der Aufbau einer autonomen Fabrik oft bereits im ersten Betriebsjahr. Verantwortlich dafür ist primär die deutlich reduzierte Lohnsumme. „Darüber hinaus führt die gesteigerte Flexibilität zu einer schnelleren Reaktions­fähigkeit auf Marktveränderungen und das höhere Qualitätsniveau senkt die Nachbesserungs­kosten, was letztlich die Kundenzufriedenheit steigert“, umreisst Harald Müller die Wettbewerbs­vorteile der neuen Fertigungsgeneration.

Der BWA-Chef stellt klar: „Das ist kein Blick in die ferne Zukunft, sondern beginnt in Form von Autonomous Production Twins längst Realität zu werden.“ Ein APT – also ein digitaler Zwilling in der Fertigung – kombiniert Echtzeitdaten, Künstliche Intelligenz und fortschrittliche Vernetzung, um eine virtuelle Repräsentation des Produktionssystems zu schaffen, die selbstständig Entscheidungen treffen und Prozesse anpassen kann. „Ein autonomer Produktionszwilling kann Fertigungsprozesse aktiv steuern und auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren, etwa durch Anpassung der Robotergeschwindigkeit, Optimierung der Materialzufuhr, die Korrektur von Fehlern oder durch Umplanung bei Materialengpässen“, gibt Harald Müller konkrete Beispiele für die Vorteile des KI-Einsatzes in der Fertigung.

Er fasst zusammen: „Während generative KI ein nützliches Werkzeug ist, liefert Real-World AI die nachhaltigen Effizienz- und Kostenvorteile, die die Wirtschaft und die Kommunen der Zukunft bestimmen werden. Unternehmen, die diesen Wandel frühzeitig erkennen und KI in ihrer physischen Infrastruktur verankern, sichern sich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Angesichts der derzeit krisenhaften Situation in Deutschland darf die heimische Industrie diese Entwicklung auf keinen Fall versäumen.“

Quelle und weitere Informationen: www.diplomatic-council.org/de/ki-in-der-realen-welt

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf m-q.ch - https://www.m-q.ch/de/real-world-ai-viel-groesser-als-genai/

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