Normalisierung des Arbeitsmarkts – Schonfrist für Ü50 vorbei?

Das Outplacement-Unternehmen von Rundstedt hat Arbeitsmarktdaten vom gesamten letzten Jahr 2022 ausgewertet und neue Statistiken bereitgestellt. Das Jahr 2022 stand wie schon 2021 ganz im Zeichen des Wirtschaftswachstums nach Corona. Dieses hat den Fachkräftemangel weiter verschärft und in einzelnen Branchen zugespitzt. Wie hat sich das auf den Arbeitsmarkt und die Situation der Stellensuchenden in der Schweiz konkret ausgewirkt?

Der Arbeitsmarkt scheint sich zu normalisieren – über 50-Jährige geniessen bei Kündigungswellen keinen moralischen Schutz mehr. (Bild: lisafx / Depositphotos.com)

Der Arbeitsmarkt-Barometer 2023 von Von Rundstedt bezieht sich auf die gesamte Schweiz und basiert auf den Informationen von 1’866 von einer Kündigung betroffenen Mitarbeitern und von 192 Unternehmen aus verschiedenen Branchen, welche 2022 in der Schweiz Kündigungen aussprechen mussten. Er ergibt somit ein repräsentatives Abbild des gesamtschweizerischen Arbeitsmarktes 2022. Daraus ableiten lassen sich einige interessante Erkenntnisse.

Abkühlung von Konjunktur und Arbeitsmarkt steht bevor

«Seit Mitte 2022 sind wieder vermehrt Kündigungen ausgesprochen und erste Abbauprojekte und Restrukturierungen angekündigt worden. Es kommt in naher Zukunft wieder zu mehr Kündigungen», so Pascal Scheiwiller, CEO von Von Rundstedt. Nachdem 2021 und im ersten Halbjahr 2022 signifikant weniger Kündigungen ausgesprochen wurden, sei seit Mitte 2022 wieder ein Anstieg an Kündigungen erkennbar. Bei der Vielzahl an offenen Stellen falle dies nicht so sehr ins Gewicht. Dafür gebe es wieder mehr Fluktuation und die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt scheinen sich langsam zu normalisieren, so die Feststellung des Outplacement-Spezialisten. Verwiesen wird auch auf die Feststellung, dass Ende 2022 auch wieder vermehrt Abbau- und Restrukturierungsprojekte angekündigt worden seien. Insgesamt hätten 76% der Kündigungen 2022 vor dem Hintergrund eines Abbaus oder einer Restrukturierungsmassnahme stattgefunden. Im Vorjahr waren dies nur 67%. Das weist darauf hin, dass die Unternehmen strukturell wieder vermehrt Anpassungen vornehmen und nicht nur neues Personal suchen, sondern gleichzeitig auch Personal freistellen und die Organisation anpassen. Das deutet noch nicht auf eine Rezession, aber auf eine Art Normalisierung des Arbeitsmarktes hin.

Informationen zu den kündigenden Unternehmen. (Grafik: Von Rundstedt)

Kein moralischer Schutz mehr für Ü50

Es scheint, dass vor der aktuellen Arbeitsmarktsituation die «Schonfrist» für ältere Mitarbeitende abgelaufen ist. Pascal Schweiller: «Aktuell liegt die Kündigungsquote bei den Ü50 signifikant höher als bei den anderen Altersgruppen. Die vielen offenen Stellen legitimieren offenbar Unternehmen, ältere Mitarbeitende vermehrt zu entlassen, ohne spezielle Schutzmassnahmen zu aktivieren.» Die Zahlen belegen: 2022 haben 39% der Kündigungen die Altersklasse der Ü50 betroffen. Diese Quote liegt signifikant über dem Vorjahr (31%) und der Ü50 Beschäftigungsquote von 32%. In den letzten Jahren hat sich dieser Wert meistens in der Nähe der Beschäftigungsquote (30-32%) bewegt. 2022 sind relativ gesehen also viel mehr Ü50 gekündigt worden. Offenbar führt das gute Marktumfeld für Stellensuchende und die vielen offenen Stellen dazu, dass Arbeitgeber sich keine grossen Sorgen mehr um Betroffene machen und sich auch nicht mehr vor negativer Presse und Reputationsschäden bei Kündigungen von Ü50 fürchten.

Auch schwierigere Profile finden wieder rascher eine neue Stelle

Aber dennoch ist die Situation für Arbeitssuchende nicht als dramatisch zu bezeichnen. «Die Dauer der Stellensuche ist nochmals zurückgegangen. Vor allem bei Ü50 und bei schwierigen Profilen hat sich die Suchdauer signifikant verkürzt», weiss Pascal Scheiwiller. So liege die durchschnittliche Suchdauer bei der Stellensuche über alle Kategorien nach 2021 (5.3 Monate) auch 2022 mit 5.2 Monaten auf einem tiefen Niveau. Dabei habe sich die Situation aber vor allem bei der Kategorie Ü50 signifikant verbessert. Sie hat sich innert zwei Jahren von 8.3 Monaten (2020) auf 6.9 Monate (2021) und mittlerweile 6.1 Monate (2022) reduziert – eine positive Entwicklung also. Generell ist die Bandbreite zwischen vermeintlich leichten und schwierigen Profilen kleiner geworden. 2020 hat die durchschnittliche Suchdauer bei schwierigen Profilen noch 11.8 Monate betragen. 2021 hat sich die Suchdauer dieser Kategorie bereits auf 9.2 Monate und 2022 gar auf 7.3 Monate reduziert. Somit profitieren gemäss von Rundstedt aktuell alle Kategorien vom Fachkräftemangel und finden viel schneller wieder eine neue Stelle.

Gute Chancen bei öffentlich ausgeschriebenen Stellen

Der verdeckte Arbeitsmarkt und das persönliche Netzwerk waren in den letzten Jahren lange das geheime Erfolgsrezept, um an die richtig spannenden Stellen zu gelangen. Dies habe sich im letzten Jahr etwas relativiert, so eine weitere Erkenntnis von Von Rundstedt. 2022 haben nur noch 27% der Stellensuchenden ihre Stelle über das persönliche Netzwerk gefunden (2021: 37%). Die meisten neuen Stellen wurden 2022 über öffentliche Stellenausschreibungen gefunden (48%). Diese Erfolgsquote liegt signifikant über dem Vorjahr (34%). Dies liegt daran, dass auch immer mehr Stellen öffentlich ausgeschrieben werden. Die Auswahl an ausgeschriebenen Stellen ist aktuell sehr gross. Dabei verlieren Personalvermittler und Headhunter relativ an Bedeutung. Sie können zwar aufgrund der Rekrutierungswelle der letzten beiden Jahre auf zwei gute Geschäftsjahre zurückblicken. Trotzdem nimmt ihre Bedeutung relativ ab. 2022 haben nur noch 3% der Stellensuchenden ihre neue Stelle über einen Personalvermittler gefunden. Dies ist im Vergleich zu den Vorjahren ein grosser Rückgang (2021: 9%).

Weiterhin hohe Branchenmobilität

Eine weitere Erkenntnis: Obwohl in der Rekrutierung viele Unternehmen noch an der Branchenerfahrung festhalten, ist die Bereitschaft in den letzten zwei Jahren stark gestiegen, branchenfremde Bewerber anzustellen. 2022 haben 48% der Stellensuchenden einen erfolgreichen Branchenwechsel machen können. Das zeugt von einer steigenden Flexibilität der Arbeitgeber und verdeutlicht einmal mehr den Druck des Fachkräftemangels. Viel weniger Mobilität ist bei der Funktion eines Stellensuchenden zu beobachten. 2022 haben nur 24% der Kandidaten einen Funktionswechsel vornehmen können. Gerade hinsichtlich der Digitalen Transformation und der anstehenden Strukturwandel wäre eine höhere funktionale Mobilität wünschenswert. Unternehmen stellen wenn irgendwie möglich nur Bewerber an, welche bereits Erfahrung in der gleichen Funktion haben.

Salärentwicklung stabil und positiv

«Dank Fachkräftemangel und Inflation ziehen die Saläre tendenziell an. Trotzdem scheint die Entwicklung im Vergleich zum Ausland recht stabil», so Pascal Scheiwiller zur Entwicklung der Löhne. 2022 hätten 40% der Stellensuchenden nach einer Kündigung in der neuen Position ein höheres Salär erzielen können, geht aus der Analyse der Daten hervor. Nur 21% mussten ein tieferes Salär in Kauf nehmen. Indexiert ergibt dies einen durchschnittlichen Saläranstieg dieser Kategorie von 2%. Somit bewegt sich die Entwicklung im Rahmen der Inflation und kann als stabil betrachtet werden. Festzustellen sei, dass die Unternehmen bei kritischen Profilen und direkten Abwerbungen gerne mit einem guten Salär winken. Die Salärentwicklung bewege sich bei dieser Kategorie bei 13%. Dies bestätige die These, dass der Fachkräftemangel in spezifischen Bereichen die Lohnentwicklung deutlich ankurbele.

Quelle: Von Rundstedt

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