Hohe Fluktuation bei Frauen in Führungspositionen

Der neue schillingreport zeigt, dass die 100 grössten Schweizer Arbeitgeber zwar die Vorgaben der Geschlechterrichtwerte erreichen, aber die Fluktuation unter den weiblichen Geschäftsleitungsmitgliedern erreicht einen beispiellosen Höchststand.

Die Schweizer Top-100-Unternehmen erreichen inzwischen eine gute Geschlechterdurchmischung in ihren Führungsgremien. Allerdings besteht bei Frauen in Top-Positionen eine hohe Fluktuation. (Bild: Depositphotos.com)

Sieben bzw. zwei Jahre vor Ablauf der Übergangsfristen zählen die Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber 20 % Frauen und die Verwaltungsräte 31 %. Sie erreichen damit die von der Politik geforderten Geschlechterrichtwerte von 20 Prozent in Geschäftsleitungen und 30 Prozent in Verwaltungsräten. «Die diesjährigen Ergebnisse hinterlassen dennoch einen bitteren Nachgeschmack. Dass die Unternehmen die Richtwerte erreichen würden, war bereits vor 2 Jahren klar. Dies als Erfolg zu verbuchen, wäre allerdings kurzsichtig», so Guido Schilling, Herausgeber des schillingreport, der regelmässig die Führungsgremien der Schweizer Wirtschaft und des öffentlichen Sektors auf ihre Geschlechterdiversität untersucht. In der Ausgabe 2024 wurde auch der Frage nachgegangen, welche veränderten Muster nun zu beobachten sind, nachdem ja die grundlegenden Hausaufgaben erledigt scheinen. Um es vorweg zu nehmen: Es gibt Indikatoren, die kurzfristig positive Resultate zeigen mögen, langfristig aber Risiken bergen würden.

Die 100 grössten Schweizer Unternehmen erreichen bei der Geschlechterdurchmischung den Richtwert von 20 Prozent. (Grafik: schillingreport)

Hohe Fluktuation weiblicher Geschäftsleitungsmitglieder

Stieg der Anteil Unternehmen mit mindestens 30 % Frauen in der Geschäftsleitung über die vergangenen 5 Jahre kontinuierlich von 4 % in 2019 auf 21 % in 2023, so sinkt er aktuell wieder auf 20 %. Gleichzeitig stagniert der Anteil Unternehmen ohne Frauen in der Geschäftsleitung bei 23 % nach Jahren der steilen Absenkung von 53 % in 2019 auf 25 % in 2023. Ein Grund für diese Verschiebungen zeigt sich in der Fluktuation: Traten in den vergangenen Jahren zwischen 10 und 16 Frauen von ihrer Position in der Geschäftsleitung zurück, so sind es aktuell 33. Diesen gegenüber stehen 44 Neueintritte von weiblichen Geschäftsleitungsmitgliedern, was unter dem Strich in einem Nettozuwachs von 11 resultiert, womit der Geschlechterrichtwert von 20 % knapp erreicht wurde. «Die gewonnenen Frauen zu halten, ist der Schlüssel für eine ausgewogene Durchmischung», so Schilling. «Allerdings stellen wir bereits seit Jahren fest, dass weibliche Geschäftsleitungsmitglieder bei Amtsaustritt mit 3 Jahren eine deutlich kürzere Verweildauer im Gremium aufweisen als ihre männlichen Kollegen mit 7 Jahren. Eine derart kurze Zugehörigkeit kann kaum nachhaltig sein.» 

Weshalb die hohe Fluktuation? Erklärungsversuche

Die hohe Fluktuation bei Frauen in Führungspositionen ist Gegenstand weiterer Untersuchungen. Betrachtet man die neuen Geschäftsleitungsmitglieder, so zeigt sich, dass 62 % bereits im Unternehmen tätig waren, bevor sie in die Geschäftsleitung kamen. Dieser Anteil intern Berufener blieb über die vergangenen Jahre in etwa gleich. Von den männlichen Geschäftsleitungsmitgliedern wurden 64 % intern berufen, bei den weiblichen sind es 55 %. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass 45 % der weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder von extern ins Unternehmen und in die Geschäftsleitung kamen. «Dies könnte durchaus ein Grund für die kürzere Verweildauer der ausgetretenen weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder sein», gibt Schilling zu bedenken. «Jemand Externes, der u.U. erstmals in eine Geschäftsleitungsfunktion kommt, muss sich nicht nur mit der neuen Rolle in der Geschäftsleitung, sondern auch mit dem Unternehmen, der Kultur und den Gegebenheiten vertraut machen. Intern Berufene haben den Vorteil, dass sie die unternehmensspezifische DNA kennen und bereits vernetzt sind.»

Frauen scheiden wesentlich früher wieder aus Top-Positionen aus als Männer. Aktuell sind es 33 Austritte von Frauen aus Geschäftsleitungen. (Grafik: schillingreport)

Die intern beförderten Frauen wurden bereits nach 9 Jahren Betriebszugehörigkeit in die Geschäftsleitung berufen, während es bei den Männern 12 Jahre sind. Das heisst, eine zu frühe Beförderung mit entsprechend kleinerem Erfahrungsrucksack kann dazu führen, dass Frauen nach kurzer Zeit wieder aus Top-Positionen ausscheiden.  Gemäss Guido Schilling könnte eine Lösung darin bestehen, mehr Frauen im mittleren Management zu fördern und länger zu halten, um sie später erfolgreicher zu befördern. Ein weiterer Grund für die hohe Fluktuation: Frauen bekleiden im Top-Management häufig Service-Funktionen wie HR oder Marketing. Bei Umstrukturierungen wandern diese Funktionen häufig ins mittlere Management zurück, was eine enttäuschte Stelleninhaberin zum Verlassen des Unternehmens veranlasst.

Hoher Ausländerinnen-Anteil

Der Ausländeranteil in der Geschäftsleitung oszilliert seit vielen Jahren um 45 % und beträgt aktuell 46 %. Auf das Geschlecht heruntergebrochen, stammen 45 % der männlichen und 57 % der weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder nicht aus der Schweiz. Unter den neu berufenen Geschäftsleitungsmitgliedern finden sich 55 % ohne Schweizer Pass, bei den Männern sind es 51 %, bei den Frauen sogar 66 %. Deutlich internationaler sind die Unternehmen im SMI zusammengesetzt mit 73 % ausländischen Geschäftsleitungsmitgliedern, wobei von den Männern 68 % und von den Frauen 85 % keinen Schweizer Pass besitzen. «Ausländische Manager müssen sich zusätzlich mit Land und Leuten vertraut machen», so Schilling: «Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die Vereinbarkeit von Familie und Karriere in der Schweiz zudem noch keine Tradition.» Ein weiterer Grund für die hohe Fluktuation bei Chefinnen, weil sie sich in der Schweiz mit ihren Karrierevorstellungen unverstanden fühlen? Durchaus, meint Guido Schilling. Wer zu wenig vertraut ist mit der hiesigen Kultur, dem fällt es schwer, Fuss zu fassen.

Unter den neuen Geschäftsleitungsmitgliedern fällt zudem auf, dass die Frauen mit 49 Jahren um einiges jünger sind bei Eintritt in das Gremium als ihre männlichen Kollegen, die mit 52 Jahren berufen werden. Fazit: «Die weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder sind jünger, werden früher befördert, haben eher keinen Schweizer Pass und verweilen deutlich kürzer im Gremium als ihre männlichen Kollegen», fasst Schilling zusammen.

Zunehmende Überalterung in der Geschäftsleitung

In den vergangenen Jahren nahm das Durchschnittsalter über alle Samples kontinuierlich zu. In der Geschäftsleitung sind die Mitglieder aktuell 53 Jahre alt. Die weiblichen Geschäftsleitungsmitglieder sind mit 51 Jahren etwas jünger als ihre männlichen Kollegen mit 54 Jahren. Am stärksten stieg das Alter bei den CEOs an. 2011 lag der Schnitt noch bei 52 Jahren, wobei die neu gewählten CEOs 49 Jahre alt waren. Von diesen 14 Neuzugängen waren damals 29 % älter als 50 Jahre. Aktuell sind die CEOs durchschnittlich 55 Jahre alt und die Neuen 53 Jahre. 67 % der 24 neu gewählten CEOs sind aktuell älter als 50 Jahre. «In Anbetracht der demografischen Entwicklung birgt diese Überalterung grosse Risiken und führt langfristig in eine Sackgasse», so Schilling. «Es stellt sich mir die Frage, ob die Verwaltungsräte dies in ihren Risk Assessments entsprechend berücksichtigen.»

Motor SMI verliert an Drive – Public Sector auf Kurs

Die im SMI notierten Unternehmen erreichten bereits 2022 den Geschlechterrichtwert von 30 % im Verwaltungsrat und 20 % in der Geschäftsleitung. Im Verwaltungsrat stagniert dieser Wert aktuell bei 34 %, und in der Geschäftsleitung steigt er leicht auf 26 %. «Beides respektable Werte, dennoch ist im Wirtschaftsmotor SMI eine Abflachung spürbar, welche mich aufhorchen lässt», so Schilling.

Im öffentlichen Sektor steigt der Frauenanteil im Topkader auf 25 % ( Vorjahr 24 % ). 31 % der Vakanzen im obersten Management wurden mit Frauen besetzt. Betrachtet man die Bundesverwaltung losgelöst von den Kantonen, stagniert der Frauenanteil im Topkader weiterhin bei 38 %, wobei aktuell 25 % der Vakanzen beim Bund mit Frauen besetzt wurden.

Die Weichen für die Zukunft jetzt stellen

«Bisher bewegten sich private und öffentliche Arbeitgeber bei der Gewinnung von Frauen für die Geschäftsleitung in einem absoluten Minderheitsumfeld. Je höher in der Hierarchie, desto mehr erinnerte die Suche nach Frauen an die berühmte Nadel im Heuhaufen», so Guido Schilling zusammenfassend. «Aktuell sehen wir, dass es im Middle Management der Schweizer Wirtschaft einen respektablen Pool an qualifizierten Managerinnen gibt, die nicht nur in Service-, sondern zunehmend in Business-Rollen mit direktem Impact auf das Ergebnis tätig sind. Dieses Potenzial wird sich in einigen Jahren in den Geschäftsleitungen niederschlagen, wenn die Unternehmen auf Rahmenbedingungen setzen, welche die Vereinbarkeit von Karriere und Familie begünstigen und innerhalb derer sich Frauen wohlfühlen.» Könnte Top-Sharing oder Co-Leadership eine Lösung für diese Herausforderung bringen? Dazu meint Guido Schilling: „Jede Form einer Flexibilisierung von Modellen dient der Sache“. Vorderhand hält er Job-Sharing von Führungsfunktionen aber eher für das mittlere Management als geeignet.

Quelle und weitere Informationen: www.guidoschilling.ch

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