Nachlassverfahren: Das unterschätzte Instrument

Die Corona-Pandemie schränkt das wirtschaftliche Leben in manchen Branchen stark ein. Immer mehr Unternehmen laufen Gefahr, wegen ausbleibender Umsätze finanziell am Abgrund zu stehen. Experten warnen entsprechend vor einer Konkurswelle. Aber lange nicht jedes Unternehmen müsste in den Konkurs geschickt werden. Je nach Situation kann eine Nachlassstundung die Existenz einer Firma sichern.

Gerät ein Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage, muss nicht immer ein Konkurs die letzte Konsequenz sein. Unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Nachlassverfahren die Firma retten. (Bild: Pixabay.com)

Die Folgen der Corona-Pandemie spüren einige Branchen ganz besonders, etwa die Reise-, die Gastro- oder die Eventbranche. Brancheninsider gehen davon aus, dass der wochenlange Umsatz-Ausfall für einige Unternehmen «Lichterlöschen» bedeutet, wenn nicht rasch finanzielle Hilfe eintrifft. Mit anderen Worten: Es droht eine Zunahme von Insolvenzverfahren.

Konkurs und Liquidation vermeiden dank Nachlassverfahren

Das Schweizer Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (SchKG) sieht im Wesentlichen drei Formen von Insolvenzverfahren vor: der Konkurs, das Nachlassverfahren oder den Konkursaufschub. Wenig bekannt ist und verhältnismässig wenig durchgeführt wird das Nachlassverfahren. Dies hat eine neue Studie, die vom Beratungsunternehmen Alvarez & Marsal und der Swiss Turnaround Association veröffentlicht wurde, festgestellt. Das Nachlassverfahren gemäss SchKG muss bei einem Gericht beantragt werden und bewirkt nebst anderem folgendes:

  • Betreibungen und Gerichtsverfahren werden ausgesetzt
  • Vermögenswerte des Schuldners können nicht beschlagnahmt werden
  • Forderungszessionen werden mit Genehmigung der Stundung unwirksam
  • Verjährungsfristen stehen still
  • Sobald die Stundung bewilligt ist, hört gegenüber dem Schuldner der Zinsenlauf für alle nicht pfandgesicherten Forderungen auf (sofern nicht anders im Nachlassvertrag geregelt)
  • Verhinderung der Löschung/Streichung von Ansprüchen vor dem Nachlassverfahren
  • Keine Sozialplanpflicht bei Massenentlassungen, die während des Nachlassverfahrens erfolgen, das mit einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung abgeschlossen wird
  • Einsatz eines Sachwalters; mit dessen Einwilligung können langfristige Verträge gekündigt werden, sofern diese einer Sanierung im Weg stehen

Mit dem Nachlassverfahren hätten in der jüngsten Vergangenheit wohl einige Unternehmen, die einen Konkursantrag gestellt haben, eigentlich gerettet werden können – zusammen mit vielen Arbeitsplätzen.

Führungskräfte sollten die finanzielle Situation objektiver beurteilen

Die Studie ergab, dass Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten oft zu lange warten, bevor sie die notwendigen Massnahmen ergreifen, und wenn sie dies tun, erkennen sie, dass nur noch wenig Handlungsspielraum bleibt und das Unternehmen letztendlich Konkurs anmelden muss. Stattdessen sollte die Unternehmensführung bei Liquiditätsengpässen eine Umstrukturierung frühzeitig objektiv bewerten und eine Nachlassstundung als mögliche Lösung in Betracht ziehen. Denn mit einer Nachlassstundung gewinnen Unternehmen jene Zeit, die sie benötigen, um Sanierungsmassnahmen umzusetzen.

Oft werden anstelle eines Nachlassverfahrens aussergerichtliche Lösungen bevorzugt. 2019 haben gemäss der Untersuchung von Alvarez & Marsal (A&M) sich nur 66 Schweizer Unternehmen für eine Nachlassstundung entschieden. Im Vergleich zu den 4’691 Konkursen im selben Zeitraum wurde das Instrument der Nachlassstundung nur bei rund 1,4% aller Schweizer Konkurse eingesetzt. Zum Vergleich: In den USA waren die Anträge um ein Chapter-11-Verfahren 2019 zehnmal so hoch (14%).

40% der Unternehmen, die im Jahr 2019 in eine Nachlassstundung gingen, wurden erfolgreich umstrukturiert

17 (38%) der Unternehmen, denen 2019 eine Nachlassstundung gewährt wurde und für die das Verfahren nun abgeschlossen ist, wurden entweder durch eine reine Restrukturierung oder durch einen ordentlichen Nachlassvertrag mit ihren Gläubigern erfolgreich restrukturiert. In 28 (62%) der abgeschlossenen Verfahren erlosch das Unternehmen. Dennoch wurde in 5 Fällen eine Lösung gefunden, entweder mit einer Auffanglösung (d.h. der gesunde Teil des Unternehmens wurde zu einer unabhängigen Einheit) oder das Unternehmen wurde an eine dritte Partei übertragen. Nach Ansicht der Studienautoren könnte im derzeit schwierigen wirtschaftlichen Umfeld die Nachlassstundung ein hervorragendes Instrument zur Rettung wettbewerbsfähiger Unternehmen sein, die unter dem Covid-19-Schock leiden.

2020 traten nur 34 Unternehmen in eine Nachlassstundung ein

Im Zeitraum von Januar 2020 bis Ende September 2020 wurden 34 Unternehmen eine Nachlassstundung gewährt. Wird diese Zahl auf das Jahr hochgerechnet, entspricht diese 45 Fällen und einem Rückgang von 30% gegenüber 2019. Dieser Rückgang lässt sich durch die COVID-19-Unterstützungsmassnahmen der Schweizer Regierung für Unternehmen erklären. Im Vergleich zu den 2’760 Konkursen im gleichen Zeitraum wurde das Instrument der Nachlassstundung nur bei rund 1,2% aller Konkurse eingesetzt.

Zusätzlich zum ordentlichen Verfahren nutzten nur 22 Unternehmen das vereinfachte  COVID-19 Nachlassverfahren. Dabei handelt es sich um ein kostengünstiges Verfahren, das bis zum 19. Oktober 2020 in Kraft war, um kleine Unternehmen vor dem COVID-19-Schock zu schützen. Dies zeigt, dass eine erste Welle von Insolvenzen durch die anderen COVID-19-Massnahmen der Schweizer Regierung vorerst wirksam vermieden wurde. Zu den Massnahmen gehörten staatlich unterstützte COVID-Darlehen, die Lockerung der Kurzarbeitsentschädigung und die vorübergehende Aussetzung der Überschuldungsanzeige gemäss Art. 725 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR).

Welche Voraussetzungen es für ein Nachlassverfahren benötigt

So funktioniert das Nachlassverfahren.

Die formellen und materiellen Voraussetzungen für die provisorische Nachlassstundung sind vom Gesetzgeber bewusst gering gehalten. Vorliegen muss ein provisorischer Sanierungsplan. Es gibt allerdings keine gesetzlichen Vorgaben darüber, was der Sanierungsplan im Gesuch um Nachlassstundung beinhalten muss. In der Praxis beinhaltet der provisorische Sanierungsplan meist einen Überblick über die Massnahmen und Ziele des beabsichtigten Sanierungsprozesses. Ein Antrag kann nur dann abgelehnt werden, wenn offensichtlich keine Aussichten auf Sanierung bestehen. In diesem Fall eröffnet das Nachlassgericht von Amtes wegen den Konkurs (Art. 293a SchKG). Die Herausforderungen zeigen sich in der Praxis weniger in den formalen Anforderungen als in den Kosten, die eine Nachlassstundung nach sich zieht, was jedoch unter Berücksichtigung aller Gläubigerforderungen und dem Wegfall von Arbeitsplätzen zu betrachten ist.

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