Schweizer KMU-Tag 2021: Wenn Überraschungen die neue Normalität sind

Am Freitag, 22. Oktober 2021 fand nach einjähriger Pause wieder der traditionelle Schweizer KMU-Tag statt. Die diesjährige Ausgabe der Tagung stand unter dem Motto «KMU und Überraschungen – Knall auf Fall».

Begeisterte am Schweizer KMU-Tag 2021 das Publikum: Christian Jott Jenny während seines Chansons über Behörden-Bürokratie. (Bild: Thomas Berner)

Nachdem er im letzten Jahr Knall auf Fall abgesagt werden musste, liess der Schweizer KMU-Tag 2021 fast schon wieder Normalität zu. 1000 Besucherinnen und Besucher fanden sich in St.Gallen ein um das nachzuholen, was die Pandemie-Massnahmen während Monaten nicht möglich machten: Sich persönliche zu begegnen, sich auszutauschen und spannende Referate anzuhören.

Gastgeber Tobi Wolf: „Wieder mehr an positive Überraschungen denken und glauben“. (Bild: Thomas Berner)

Schweizer KMU-Tag 2021 und die neue Normalität

Das Tagungsthema «KMU und Überraschungen – Knall auf Fall» hat auch dieses Jahr nichts an Aktualität eingebüsst. In seinem Eröffnungsreferat hielt Gastgeber Tobi Wolf denn auch fest, dass die Unsicherheit über alle Branchen gesehen weiterhin gross ist. Das bedeutet, dass Unternehmen mehr denn je auf Überraschungen gefasst sein müssen. Gemäss einer unter KMU-Tag-Teilnehmenden durchgeführten Umfrage werden der Fachkräftemangel, Cybervorfälle und die Materialbeschaffung als derzeit besonders grosse Herausforderungen genannt. Tobi Wolf zeigte auf, wie das Virus unsere Lebensbereiche komplett verändert hat: Unser Konsumverhalten, die Arbeitswelt – aber auch die Solidarität und das Verhalten gegenüber unserer Umwelt. Es wird kontaktlos bezahlt, virtuell Hochzeit gefeiert, von überall her mobil gearbeitet. Das alles macht auch vor KMU nicht halt. Gemäss der Umfrage wollen 60 Prozent der Umfrageteilnehmenden sich der neuen Normalität aktiv stellen. «Es braucht wieder mehr Neugier und Lust auf Neues in den Unternehmen», so ein Fazit von Tobi Wolf.

Rettungsboote für KMU

Etwas eine pessimistischere Ansicht vertrat anschliessend Konrad Hummler, ehemaliger Besitzer der Privatbank Wegelin und heute Betreiber eines Thinktanks für strategische Zeitfragen. Er ortet immer noch eine gewisse Ängstlichkeit und eine Spaltung der Gesellschaft. Die Wirtschaft wurde zwar durch einen «Gesamt-Bailout» gerettet, allerdings durch Anhäufung eines gigantischen Schuldenbergs. Als überraschend bezeichnete Hummler nicht unbedingt das Auftreten einer Pandemie selbst, sondern das Behördenversagen in ihrer Bewältigung. Er verglich den Umgang mit der Pandemie mit dem Untergang der Titanic: Sorglosigkeit, Überheblichkeit gekoppelt mit dem Ignorieren von Informationen, was letztlich in einem wirkungslosen Containment und einem Mangel an Rettungsbooten gipfelte. Und genau solche Rettungsboote bräuchten die Unternehmen eben. Konrad Hummler empfiehlt gleichsam eine Rückkehr zu alten Tugenden: Reservenbildung, Redundanzen, kollektive Sicherungssysteme und – besonders zentral: Freunde, auf die man sich verlassen kann. «Ein Unternehmer darf, auch wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht, nicht aus dem letzten Loch pfeifen», so Hummler.

Nahm kein Blatt vor den Mund: Konrad Hummler (Bild: Thomas Berner)

Über Kulturschaffen und Behörden-Bürokratie

Einen heiteren, mit viel Anekdotischem gespickten, Rundumschlag lieferte anschliessend Christian Jott Jenny, Gemeindepräsident von St.Moritz und Kulturveranstalter. Er verglich Gemeinden mit KMU: Gemeinden führen unter sich ebenfalls eine Art Wettbewerb durch wie Unternehmen, haben aber als entscheidenden Unterschied, dass sie – Steuern sei Dank – über quasi «garantierte Einnahmen» verfügen und so «nicht in Grund und Boden gefahren» werden können. Jenny stellte auch fest, dass Gemeinden bis vor einigen Jahren sich viel von der Wirtschaft abschauten (New Public Management), heute es aber eher umgekehrt sei: Unter dem Aspekt von Corporate Governance begännen sich Unternehmen mehr denn je an Mitbestimmungsprozessen, wie diese in Gemeinden ablaufen, zu orientieren.

Die Bürokratie konkret aufs Korn nahm Christian Jott Jenny – seines Zeichens ausgebildeter klassischer Tenor – in einer musikalischen Darbietung. In einem Chanson beschrieb er die umständliche Suche nach einem Antragsformular durch viele Amtsstellen hindurch. Das jede Form von Satire und Witz letztlich auch einen wahren Kern aufweist, zeigte sich real auch an folgender Anekdote: Dem OK des KMU-Tags sei erst um 14:24 Uhr offiziell bestätigt worden, dass der Anlass bewilligt sei…

Startups als KMU von morgen

Einen weiteren Programmpunkt am Schweizer KMU-Tag 2021 bildete die «Inspiration Session»: Drei Startups pitchten mit ihren Geschäftsideen um die Wette. Andreas Brenner von Avrios zeigte eine SaaS-Plattform für das Fuhrparkmanagement für KMU, Jan-Philip Schade präsentierte sein FinTech-Startup Kaspar& und Sandra Tobler vertrat mit Futurae Technologies AG ein ETH-Spinoff, das eine Cybersecurity-Lösung entwickelt hat. In der Publikumsgunst obenaus schwang schliesslich Kaspar& mit ihrer Anlage-App. Per Videostream zugeschaltet war in der Inspiration Session auch Marc Schlegel, Gründer von Lizza, einem Unternehmen, das einen Low-Carb-Pizzateig entwickelt hat und innert Kürze für Furore sorgte. Marc Schlegel hat inzwischen einen erfolgreichen Exit hingelegt und meldete sich entsprechend entspannt aus seinen Ferien.

Drei Startups pitchten um die Wette: Moderatorin Steffi Buchli (ganz links) im Gespräch mit Sandra Tobler, Andreas Brenner und Jan-Philip Schade (v.l.n.r.). (Bild: Thomas Berner)

Unser «unvernünftiges» Gehirn und eine Reise über den Atlantik

Den letzten Referateblock bestritten zuerst der Neurowissenschaftler Lutz Jäncke und anschliessen Gabi Schenkel. Lutz Jäncke stellte die rhetorische Frage: Ist unser Gehirn vernünftig? Er führte aus, dass die Antwort darauf nur «Nein» lauten kann, weil unser Gehirn gar nicht für rationale Entscheidungen gemacht sei. Denn viele Entscheidungen würden von uns unbewusst gefällt, weil unser Gehirn laufend damit beschäftigt ist, «alles wegzuinterpretieren, was sich uns in den Weg stellt». Die Vernunft sei nur ein durch die Aufklärung geprägte philosophische Erklärung. Dominant seien aber die unbewussten Prozesse in unserem Gehirn.

Gabi Schenkel und Lutz Jäncke im Podiumsgespräch am Schweizer KMU-Tag 2021. (Bild: Thomas Berner)

Die Ausdauersportlerin Gabi Schenkel hat als erste Schweizerin allein den Atlantik in einem Ruderboot überquert. Selbstredend musste sie auf diesem Abenteuer mit viel Unvorgesehenem – gebrochenes Ruder, teilweiser Ausfall des Navigationssystems – umgehen. Sie schilderte anhand von eindrücklichen Bildern und Kurzfilmen, wie sie mit ihrer 75-tägigen Einsamkeit umgehen musste. Sie zeigte anschaulich, wie man schöne Momente anders erlebt, wenn man auch die gegenteilige Seite davon kennt – ein Punkt, den auch Lutz Jäncke in der anschliessenden Diskussion mit Moderatorin Steffi Buchli unterstrich.

Nächster Schweizer KMU-Tag: 28. Oktober 2022

Und auch zu feiern gab es am Schweizer KMU-Tag 2021 noch etwas: Nämlich das 75-jährige Bestehen des Instituts KMU-HSG. Die Geschichte des Instituts wurde durch den Stimmkünstler Martin O. humorvoll musikalisch erzählt. Einer der vielen Meilensteine war natürlich auch die Gründung des KMU-Tags im Jahr 2003. Dessen Geschichte wird kommendes Jahr am 28. Oktober 2022 weitererzählt.

Weitere Informationen: www.kmu-tag.ch

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