«Die grosse Idee zählt»: Publicis-CEO Sadoun und Adobe-CEO Narayen über kreative Führungsarbeit in Zeiten von KI und Plattformmacht
Beim Cannes Lions Festival 2025 trafen mit Arthur Sadoun (Publicis) und Shantanu Narayen (Adobe) zwei Branchenführer aufeinander, die sich einig sind: Kreativität ist das Herz des Wandels. In ihrem Talk zeigten sie, wie Technologie Kreative befähigen kann – und was es braucht, damit gute Werbung auch im Zeitalter von KI relevant bleibt.

Ein Schulterschluss für die Kreativität
Wenn sich beim Cannes Lions Festival zwei der einflussreichsten Stimmen der Kommunikations- und Techbranche zur Zukunft von Kreativität und Marketing äussern, hört die Branche hin. Arthur Sadoun, CEO der Publicis Groupe, und Shantanu Narayen, CEO von Adobe, standen gemeinsam auf der Bühne – und was als High-Level-Talk angekündigt war, wurde zu einer Lehrstunde in Führungsarbeit, Optimismus und strategischem Handwerk.

Schon der Rahmen setzte ein Statement: Narayen wurde als erster „Creative Champion of the Year“ ausgezeichnet – eine neue Ehrung, die jene Persönlichkeiten würdigt, die sich nachhaltig für die Bedürfnisse Kreativer einsetzen. Für Sadoun ist Narayen „der einzige Tech-CEO, der verstanden hat, dass Kreativität durch Technologie nicht ersetzt, sondern verstärkt wird“. Andere Tech-Konzerne, so Sadoun süffisant, wollten die Käfige der Kreativen „auffressen“.
Der kreative Kern bleibt – auch in KI-Zeiten
Sadoun erinnerte an seine frühen Cannes-Besuche vor 30 Jahren, als man stundenlang Filme sichtete. Heute, inmitten einer fragmentierten Medienlandschaft, gehe es mehr denn je darum, kreative Ideen zu entwickeln, die sich durchsetzen – kanalübergreifend, emotional, relevant. „Wenn wir vergessen, dass es um die grosse Idee geht, werden wir irrelevant“, so Sadoun.
Narayen stimmte zu: Jede technologische Zäsur – von PostScript bis Mobile und Cloud – habe Kreativität zugänglicher gemacht. Der aktuelle KI-Schub sei nichts anderes als die nächste Stufe dieser Demokratisierung. Adobe setze gezielt auf konversationelle Schnittstellen, die Kreativen helfen, die Angst vor dem leeren Blatt zu überwinden – ohne die schöpferische Leistung zu marginalisieren. „Es geht nicht darum, Kreativität zu automatisieren, sondern sie zu entfalten.“
Handwerk statt Hype
Beide CEOs betonten: Es braucht solide Werkzeuge und strategische Klarheit. Narayen stellte Adobes KI-Modellarchitektur in vier Schichten vor – Daten, Modelle, Agenten und Interfaces – und unterstrich, dass Adobe ausschliesslich auf IP-gesicherte Daten zurückgreift. Das schützt die Rechte der Kreativen und sorgt für Vertrauen.
Sadoun gab einen konkreten Einblick in den Alltag bei Publicis: KI diene dazu, Talente zu befähigen – etwa einem jungen Kreativdirektor in Shanghai, am Super Bowl mitzuarbeiten. Dabei bleibe der Mensch das Zentrum. „Unsere Branche hat das Potenzial, Technologie, Daten, Medien und Ideen auf einzigartige Weise zu verknüpfen – das ist unsere Superpower.“
Orientierung im Plattformdschungel
Zentrale Schlagworte des Talks: Personalisierung und Differenzierung. Narayen betonte, dass Adobe die gesamte Customer Journey abdecke – von der Akquise bis zur Kundenbindung. Dabei sei klar: Die Daten gehören dem Kunden, nicht Adobe. Sadoun wiederum warnte vor den Limitierungen geschlossener Plattformen – den sogenannten „Walled Gardens“. Ohne offene Architekturen verliere Marketing seine Kraft zur Markenführung. Die Zukunft, so Sadoun, liege in einem Zusammenspiel aus Plattform, Dienstleistung und kreativer Exzellenz.
Ein Appell für Mut, Emotion und junge Führung
In einem persönlichen Schlenker bekannte sich Sadoun zur Jugend: „Wir müssen ihnen die Führung überlassen – neue Ideen brauchen Platz.“ Narayen ergänzte, dass Kreativität heute stärker denn je mit Geschäftszielen verknüpft werden müsse, etwa durch eine veränderte Sprache in Unternehmen.
Was Kreative jetzt brauchen – Sadouns Appell an die Branche
Trotz aller Technikliebe und digitalen Versprechen bleibt für Sadoun eines klar: „Am Ende zählt die grosse Idee.“ Und genau hier setzt sein Appell an die Kreativschaffenden an. Wer im Zeitalter von KI, Plattformökonomie und Attention-Wettbewerb bestehen wolle, müsse den Mut haben, wieder für starke Konzepte einzustehen – kanalübergreifend, durchdacht, mit Wirkung.
Sadouns wichtigste Tipps für kreative Exzellenz in komplexen Zeiten:
Verzettelt euch nicht in Einzelmassnahmen. Gute Ideen sind keine One-Touch-Wunder, sondern müssen in der Lage sein, sich durch ganze Medienökosysteme zu entfalten.
Nutzt Technologie als Hebel, nicht als Ersatz. KI kann helfen, mehr Menschen Zugang zu guten Ideen zu verschaffen – sie soll aber nie der Ursprung der Idee sein.
Bleibt unbequem. Sadoun warnt vor kreativer Bequemlichkeit und warnt: „Wenn wir faul werden und vergessen, dass alles mit einer durchschlagenden Idee beginnt, gehen wir unter.“
Arbeitet wie Plattform-Architekten. Kreative sollten mehr denn je verstehen, wie Content über Plattformen hinweg funktioniert – nicht nur gestalterisch, sondern auch strategisch.
Verlasst die Komfortzone. Sadoun betont, dass Kreativität oft dort entsteht, wo es knirscht – nicht im Algorithmus, sondern im echten, emotionalen Moment.
Auch Shantanu Narayen richtet sich mit einem Impuls an Kreative: „Demokratisierung heisst nicht Beliebigkeit.“ Gerade im Zeitalter konversationeller Interfaces gelte es, die eigene Handschrift zu bewahren. KI sei ein Sprungbrett – kein Ziel.
Die wichtigste Frage stellte Sadoun zum Schluss: „Wie schaffen wir es, die Energie dieses Festivals in den Alltag am Montag zu tragen?“ Eine Frage, die wie ein Spiegel in Richtung Branche wirkt – und deren Antwort vielleicht in der Haltung beider CEOs liegt: Kreativität ist kein nostalgisches Ideal, sondern ein lebendiger Muskel, der trainiert werden muss – mit Technologie, aber nie ohne Herz.
Über Arthur Sadoun
Chairman & CEO, Publicis Groupe. Der Franzose begann als Unternehmer in Chile, bevor er 1999 zu TBWA stieß. Nach Stationen bei Publicis Conseil und Publicis Worldwide wurde er 2017 CEO der Groupe. Unter seiner Führung wandelte sich Publicis zum global führenden Player für Business-Transformation. 2022 machte er seine Krebserkrankung öffentlich und lancierte die Initiative «Working with Cancer».
Über Shantanu Narayen
Chair & CEO, Adobe. Narayen führte Adobe durch die Transformation vom Softwareanbieter zur Experience-Plattform. Unter seiner Ägide wurden Cloud und KI strategisch verankert. Narayen wurde 2025 als erster «Creative Champion of the Year» ausgezeichnet – für seinen Beitrag zur Demokratisierung kreativer Werkzeuge und zur Verbindung von Kunst und Technologie.